: Dank für jede Verszeile
Direkter Mitteilungsdrang trifft gepflegten Dilettantismus: Der komische, schaue und scheue Fil zeigt seine neue Show „Der PenisVagina-Dialog“ in der Kalkscheune
Wer ist eigentlich dieser Mann, der sich da einfach auf die Bühne vor eine Minimalausstattung eines in die Jahre gekommenen Wohnzimmers stellt und nicht einmal die Begrüßung so korrekt hinbekommt, wie man das von einem ordentlichen Bühnenkünstler erwarten dürfte? Zumal einem, der diesen Job bereits seit rund neun Jahren durchzieht. Dieser da drängelt sich durchs Publikum der überfüllten Kalkscheune, steht dann lässig-schlaksig vor seinem Mikro, plappert mal nervös, mal einfach nur deshalb so durcheinander, weil ihm der Mitteilungsdrang offensichtlich so viele Weggabelungen zwischen die Gedanken wirft.
„Phil, wie Collins. Nur ohne Weltruhm“, stellt er sich vor. Als Comiczeichner Fil alias Philip Tägert ist er noch viel bekannter, immerhin veröffentlicht der 35-Jährige bereits seit elf Jahren seine Strips kontinuierlich in der Zitty. Weltruhm hat er noch nicht erreicht, eine Lokalberühmtheit ist er schon lang – als Zeichner wie als Entertainer. In diesem Betätigungsfeld hat er sich von der Scheinbar über das Mehringhof-Theater nun zur Kalkscheune vorgearbeitet und immer größere Säle mit Zuschauern gefüllt und zu seinen Fans gemacht. Der Comedy-Maschinerie des Fernsehens verweigert er sich allerdings nach wie vor. Wer weiß, sonst wäre er vielleicht jetzt schon eine Woche non stop in der Columbiahalle.
Phil ist mit Sicherheit der schlimmste Pantomime, den das Märkische Viertel je hervor gebracht hat. Und auch seine Fähigkeiten als Handpuppenspieler mit der zu ordinären Witzen neigenden Figur Haifisch Sharkey sind eigentlich für den Berufsstand der Bauchredner ein Affront. Phil aber hat aus charmanter Naivität und gepflegtem Dilettantismus, smartem Berliner Slang und dahingestümpertem Liedgut eine Form der Stand-Up-Comedy entwickelt, die ihresgleichen sucht.
Jetzt steht er also vor seiner gemütlichen Wohnzimmerlampe und kündigt tatsächlich eine Art konzeptionelles Programm an: den „PenisVagina-Dialog“. Erkenntnisse über das Mann-Frau-Verhältnis, dargeboten in Liedform. Ein Songabend also mit Liebesliedern. Das Resultat schickt er gleich vorweg: „Es sieht schlecht aus.“ Außer dieser Sache mit der sexuellen Anziehung könne er nur Trauriges berichten. Aber ein paar von diesen verlogenen Kuschelsongs hat er trotzdem dazwischen gesteckt. Er singt von Herzflattern, das sich einstellt, wenn es zwischen einem Fahrkartenkontrolleur und einem Schwarzfahrer in der U-Bahn knistert, aber nicht zur Stichflamme kommt und gibt erste Erfahrungsberichte aus der S/M-Szene wieder. „Es gibt Tage, da wäre ich gerne dein Hund“ – und Frauchen drückt ihm die Schnauze ins frisch gesetzte Häufchen.
Phil-Songs, das sind Schrammellieder mit Gitarre, bei denen Reime fallen, für die man ihn entweder prügeln oder zu Füßen liegen muss. Lieder über Sandwich-Kinder zum Beispiel oder über engagierte schülerfreundliche Schulreferendare („Macht Euch keine Illusionen, Sie hassen Euch.“) Phil-Songs, das sind daherimprovisierte Nonsensgeschichten, mit denen es allenfalls noch Helge Schneider aufnehmen kann. Ab und an schimmert etwa ein parodierter Reinhard Mey oder Herbert Grönemeyer durch oder es rockt wie AC/DC.
Dass er aus Mangel an kompositorischen Ideen schnell mal zu einer Melodie mehrere Texte vorträgt: macht nichts. Dass Phil zwischendurch in seinem Notizbuch noch eine Strophe von einem längst abgesungenen Lied findet: Macht auch nichts. Die da unten im Publikum sitzen, können nicht genug davon kriegen und sind dankbar für jede einzelne unvollendete Verszeile, die Phil beim Blättern zufällig findet. Denn die ist mit Sicherheit um Welten besser als jeder alberne Witz von Ingolf Lück.
AXEL SCHOCK
Nächste Vorstellungen bis 10. 1. und 14.-17. 1, jeweils 20 Uhr 30 in der Kalkscheune, Johannisstr. 2, Mitte
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