: Arbeitsamt kriegt Zulauf
Die Arbeitslosigkeit ist deutlich gestiegen. Mehr als eine halbe Million Menschen sind in der Region offiziell ohne Job. ABM-Finanzierung bleibt unsicher. Arbeitsamtschef: Der neue Senat muss jetzt ran
von RICHARD ROTHER
Der rot-rote Senat startet mit einer schweren Bürde: Trotz optimistischer Prognosen vor Jahresfrist stieg die Arbeitslosenquote in Berlin und Brandenburg im vergangenen Jahr deutlich. Über eine halbe Million Menschen (509.000) waren im Dezember in der Region offiziell arbeitslos gemeldet, rund 23.000 mehr als im Vorjahresmonat. Die Quote erhöhte sich um 0,6 Prozentpunkte auf 16,7 Prozent. In Berlin stieg die Zahl der Arbeitslosen um 15.000 auf 278.000, das entspricht 16,3 Prozent.
Die Ursache für diese Entwicklung ist vielfältig. Zum einen habe sich die schwache Konjunktur auch in der Region bemerkbar gemacht, sagte gestern der Präsident des Landesarbeitsamtes Berlin-Brandenburg, Klaus Clausnitzer. Zum anderen habe der heftige Wintereinbruch vor allem auf dem Bau, im Gartenbereich und im Güterverkehr die Lage verschärft. „Heftig negativ“ hätten sich auch die Terroranschläge vom 11. September ausgewirkt, vor allem auf die Stimmung in der Wirtschaft. Vorsicht ist aber geboten. Clausnitzer: „So manche Entlassung, die nach dem 11. September mit dem Terror begründet wurde, war lange vorher geplant.“
Ein weiterer Grund für die Negativentwicklung ist der Rückgang der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Im vergangenen Jahr waren rund 5.000 Menschen weniger in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) beschäftigt als im Jahr zuvor, eine Abnahme um knapp 30 Prozent. Klar, dass Clausnitzer seine harsche Kritik am Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) erneuerte. Denn obwohl die Zeit drängt, ist die Finanzierung der rund 12.000 ABM-Stellen in diesem Jahr noch nicht gesichert. Die finanziert zwar zum Großteil die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. Aber der Senat hat seinen Eigenanteil noch nicht freigegeben. „Das wird jetzt höchste Zeit, wir können nicht auf die Verabschiedung des Landeshaushalts warten“, drängt Clausnitzer.
Die Schläfrigkeit des rot-grünen Senats ist nicht zu verstehen. Die große Koalition in Brandenburg, auch nicht gerade in Geld schwimmend, hat es schließlich geschafft, die ABM-Stellen rechtzeitig mitzufinanzieren. Der Einsatz der Mittel lohnt sich bei ABM besonders: Das Land zahlt nur 10 Prozent, den Rest schießt die Bundesanstalt für Arbeit zu – immerhin rund 300 Millionen Euro. Clausnitzer ist sauer: „Keine Landesregierung kann es sich leisten, auf eine solche Investition zu verzichten.“
Der neue Senat sei jetzt gefordert. Schließlich verliert Berlin nicht nur Steuereinnahmen, wenn es die ABM verzögert – die Nürnberger Gelder stärken auch die Kaufkraft in Berlin. Und das Lebensgefühl von vielen Betroffenen – zumeist sind das schwer vermittelbare gering Qualifizierte, die in sozialen Einrichtungen der Bezirke wie Jugend- oder Seniorenklubs eine – allerdings unter Tarif entlohnte – Beschäftigung finden.
Die Forderung des Landesarbeitsamtes hat einen weiteren Hintergrund. Das Amt bleibt im kommenden Jahr flexibel, neue arbeitsmarktpolitische Maßnahmen einzurichten, wenn es so schnell wie möglich mit den zumeist über ein Jahr dauernden AB-Maßnahmen beginnt. Die Summe, die Nürnberg der Region zur Verfügung stellt, gibt die Behörde dann nämlich nicht für „Altlasten“ aus dem Vorjahr aus, sondern kann sie im nächsten Jahr für neue Ideen verwenden. Zum Beispiel für Qualifizerungen: Wer weiß schließlich heute schon, welche Berufe der Berliner Arbeitsmarkt nach dem Ende der Interneteuphorie und einem Jahr Rot-Rot verlangt? Ökobauern, Politessen oder Getränkesteuer-Eintreiber vielleicht.
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