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Hass und Größenwahn

Verschwörungen und Pilze gedeihen gut in „Allein unter Nachbarn“ von Alex de la Iglesia. Im Mief der Mittelmäßigkeit hat der Horror leichtes Spiel. Eine Hausgemeinschaft in Madrid lehrt das Gruseln

Wiedergutmachung für die eigene Mediokrität: Wahnsinn

von ANDREAS BUSCHE

Das Haus in der Desengaño No. 14 ist ein lebendiger Organismus. Es ächzt, es knarzt, der Hausflur hat tausend Augen, die Wände unzählige Ohren, von der Decke tropft der Keim: Es stinkt. In einer Wohnung liegt ein Toter in seinem eigenen Unrat und hat sich inzwischen zu einer autarken Pilzkultur entwickelt. Vor Wochen ist er vor dem Fernseher eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht; seitdem hat er seiner Katze als Nahrung gedient.

Als die Hausgemeinschaft ihn endlich findet, ist er kaum noch wiederzuerkennen: zerfressen von seinem einzigen Hausfreund, zerfallen in diesem anregenden Klima aus Verwesung und Wuchern. Eine düstere Tropfsteinhöhle im Stadium einer totalen Fäulnis.

Aber es ist nicht der Tote, der hier stinkt. Es ist die Gier des Kleinbürgers. In Alex de la Iglesias neuem Film „Allein unter Nachbarn“ haben wir es mit einer hartnäckigen Organisationsform zu tun, die schon im Originaltitel „La Comunidad“ Erinnerungen an den Horror sozialer oder konspirativer Zusammenschlüsse weckt; z. B. Dario Argentos „La Setta“ (The Sect) oder Brian Yuznas „The Society“. Logenähnliche Verschwörer mitten unter uns. In der Mimikry des Grauenhaft-Banalen organisiert sich das Grauenhaft-Fantastische als vermeintliches Ideal eines richtigen Lebens im falschen. Was solche Geheimgesellschaften im Innersten zusammenhält, sind in Wahrheit aber doch nur Hass und Größenwahn, schlimmstenfalls die Wertelogik reiner Effizienz. Gerade im selbstzweckhaften Charakter dieser klandestinen Bünde aber lauert der Horror der Unberechenbarkeit, ist die Balance der fragilen Konstellation erst einmal gestört.

Wie eine Festung hebt sich der Altbau, in dem de la Iglesias „Comunidad“ haust, von den Fassaden der Altstadt Madrids ab. Gleich mit der Eröffnungssequenz kreist die Kamera lauernd über den Giebeln und Steinstatuen, bevor sie fauchend in die „verbotene Zone“ niederschießt, durch das offene Fenster hinein in den Mief von drei Generationen spanischer Mittelmäßigkeit. Hier begegnet uns auch zum ersten Mal das Katzenvieh; fortan wird es immer im Blickfeld auftauchen, sobald der Tod den Raum betritt. Das alberne Spiel mit Zitaten und Klischees ist eine von de la Iglesias Spezialitäten. Er ist aber auch ein Mann des Horrors, ein gemütlicher Kindskopf wie der junge Peter Jackson, der sich um keinen Preis der Welt die Chance zur Drastik entgehen lässt. Und der den besten Terror immer da findet, wo man ihn eigentlich auch erwartet hätte. Nicht gerade zimperlich, aber trotzdem ganz hinterfotzig, weil rigoros. In seinem letzten großen Film, „Perdita Durango“, hatte er einen mexikanischen Voodoo-Priester und sein Russ-Meyer-Teufelsweib mit einer Truckladung voller Föten durch das mexikanische Hinterland gehetzt. Das versteht de la Iglesia unter abendfüllender Unterhaltung.

In „Allein unter Nachbarn“, so der deutsche Titel von „La Comunidad“, versucht sich de la Iglesia an einer uns lieb gewonnenen, leider etwas in Verruf geratenen Gesellschaftsform. Doch auch der utilitaristische Kommunismus, den die „Comunidad“ praktiziert, ist kein Idealzustand. Mit der Maklerin Julia dringt ein Fremdkörper in das Haus ein, der die „Comunidad“ der Verschwörer als heuchlerische Zweckgemeinschaft entlarvt. Was die Gruppe zusammenhält, ist die Aussicht auf 300 Millionen Peseten aus der Wohnung des Toten, an denen die Kommune sich gesundstoßen soll. Das Geld macht ihre Mittelmäßigkeit nicht erträglicher, nur hässlicher. Das Ensemble an Halsabschneidern, Soziopathen und Hausdrachen, das de la Iglesia hier zusammengetragen hat, macht die Hässlichkeit der Community äußerst bildhaft. Die verzerrte Fratze des Wahnsinns und der Hysterie keift nach Wiedergutmachung für die eigene Mediokrität. Das hat de la Iglesia von seinem Mentor Almodóvar gelernt: „Allein unter Nachbarn“ ist der kleinste gemeinsame Nenner von Groteske und Horror, eine bluttriefende Farce am Rande des permanenten Nervenzusammenbruchs.

Je tiefer sich die psychotischen Nervenbündel in ihre Paranoia fallen lassen, desto mehr entwickelt sich das Haus zum Protagonisten dieses Schreckens. Es wird ihnen zum Albtraum. „Ich wurde in diesem Haus geboren, und ich habe die Absicht, auch hier zu sterben“, faucht Ramona, die Else Kling der Desengaño No. 14, Julia kurz vor der endgültigen Eskalation ins Gesicht. Das wird ihr gelingen.

„Allein unter Nachbarn“ (La Comunidad). Regie: Alex de la Iglesia. Mit Carmen Maura, Emilio Gutiérrez Caba, u. a. Spanien 2000, 104 Min.

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