: Stoiber wirft die CDU zurück
Bei der K-Frage geht es nicht nur um Personen – sondern auch um die Zukunft der CDU. War der Kandidat ein Siegertyp, hat er die Modernisierung der Union jedes Mal blockiert
Eigentlich erscheint Stoibers Nominierung für die Union unproblematisch. Die Umfragedaten und die Mehrheit der CDU-Führung sind auf seiner Seite. Die Konjunkturflaute lässt seine bayerischen Wirtschaftsdaten hell erstrahlen. Und im Unterschied zu seinem Mentor Franz Josef Strauß tritt er mittlerweile so staatsmännisch auf, dass der linke Flügel der Union nicht zittern muss. Damit dürfte er der ideale Kandidat sein.
Bei der K-Frage geht es jedoch nicht allein um Personen. Vielmehr ist sie zugleich eine Weichenstellung für die Entwicklung der CDU als Partei. Die Geschichte der Union zeigte bereits mehrfach, welche langfristigen Folgen eine solche Entscheidung haben kann. Denn die Wahl eines Siegertypen hat für die Modernisierung der Partei oft schwere Rückschläge bedeutet. Auch Stoibers Kandidatur – und erst recht seine Kanzlerschaft – dürfte die unter Merkel begonnene Parteireform blockieren. Denn Merkel fehlte dann die nötige Autorität, um die Programme und Organisation voranzubringen.
Die Geschichte der CDU bietet zahlreiche Beispiele für entsprechende Pyrrhussiege. Schon 1963 entschied sie sich mit Ludwig Erhard bewusst für eine zugkräftige „Wahllokomotive“. Tatsächlich sorgte er an den Urnen für den gewünschten Erfolg. Für die dringend nötige Parteireform war Erhard jedoch ein Rückschlag. Gleiches galt für Kurt Georg Kiesinger, den die Fraktion 1966 nominierte. Er glänzte zwar als präsidiale Integrationsfigur, aber für die Winkelzüge der Parteiarbeit hatte er wenig übrig. Sie wurde durch ihn eher geduldet denn gefördert. 1971 musste die Union schließlich zwischen dem Parteireformer Helmut Kohl und dem ehrgeizigen Fraktionsvorsitzenden Rainer Barzel wählen. Auch hier erwies sich die Entscheidung für Barzel letztlich als kurzsichtig.
Dagegen begann Helmut Kohl seine Karriere als ein Vorsitzender, der gerade nicht als zugkräftiger Kanzlerkandidat galt. Er ließ sich explizit wählen, um die Partei zu modernisieren, nicht um die Wahl anzuführen. Hier zeigen sich erstaunliche Parallelen zu Angela Merkel, die leicht in Vergessenheit geraten. Auch Kohl brauchte seine Zeit, um sich zum Kanzlerkandidaten zu mausern. Er trieb die Programmarbeit voran, kümmerte sich um die Landesverbände und verbesserte die Gremienarbeit. Als den geborenen Kanzleranwärter sahen viele in der Fraktion jedoch Franz Josef Strauß an. Trotzdem setzte sich Kohl durch. Denn im Unterschied zu Merkel konnte er als Vorsitzender ein wesentlich besseres innerparteiliches Netzwerk aufbauen. Merkel bemühte sich dagegen um die Parteiarbeit, entwickelte daraus aber keine effektive Hausmacht.
Die entscheidende historische Parallele zur Gegenwart bescherte aber Strauß’ Kandidatur von 1980. Seine Nominierung zeigte unverkennbar, welche Folge die Aufstellung eines CSU-Mannes haben kann. Die CDU hatte sich damals gerade mühsam neu positioniert und sich ihr erstes Grundsatzprogramm gegeben. Durch Strauß rückten diese inhaltlichen Reformen schlagartig in den Hintergrund. Für ihre sozialpolitischen Positionen (die „neue soziale Frage“) hatte er wenig übrig. Von der Bildungspolitik sprach nun ebenfalls kaum noch jemand. Stattdessen verstieg er sich in außenpolitischen Bedrohungsszenarien. Sein Auftreten sorgte zudem für eine Personalisierung des Wahlkampfes, hinter der die Partei verschwand. Nach seinem schlechten Ergebnis sollte es heißen, die CDU habe ihn nicht genug unterstützt. Allerdings muss sich jeder Kandidat selber fragen, warum sich die eigenen Truppen nicht kämpferisch genug für ihn schlagen. Strauß kannte sich im komplizierten Parteigeflecht der CDU zu wenig aus. Nun rächte sich, dass er als CSU-Mann nicht im direkten Kontakt zu den Landesgeschäftsstellen, den Vereinigungen oder Kreisverbänden stand. Kohl konnte dagegen seit den Wahlen von 1983 regelmäßig auf die engagierte Unterstützung dieser Netzwerke vertrauen.
Stoibers Ausgangslage ist natürlich besser als die von Strauß. Stoiber polarisiert weniger. Dadurch ist auch sein Verhältnis zu den Sozialausschüssen wesentlich entspannter. Seine bayerische Partei hat er auf Vordermann gebracht. Selbst die allgemeinen Mitgliederverluste blieben hier recht klein. In der CDU ist er jedoch kaum verwurzelt. Vielmehr sind seine Verbindungen zur Schwesterpartei geringer als die von Strauß. Denn der hatte als Bundesminister und Abgeordneter eng mit führenden CDU-Leuten zusammengearbeitet. Dadurch kannte er selbst die parlamentarischen Hinterbänkler und die zweite Bonner Garde persönlich. Stoibers Karriere konzentrierte sich dagegen ganz auf Bayern und die CSU. Seine Kontakte jenseits der bayerischen Landesgrenze beschränken sich vornehmlich auf die Spitzenleute. Auch im Medienzeitalter wird er einiges an Energie aufwenden müssen, um jene persönliche Loyalität in der Schwesterpartei aufzubauen, die Kohl einst so stark machte.
Was die aktuelle K-Frage für die Modernisierung der CDU bedeutet, wurde bereits im letzten halben Jahr erkennbar. Angela Merkel hatte schon vor der Spendenaffäre inhaltliche Reformen angestoßen. Besonders in der Familienpolitik trug sie dazu bei, die Programmatik zu modernisieren. Alleinerziehende oder nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern wurden als Familien anerkannt, gleichgeschlechtliche Partnerschaften ausdrücklich respektiert. Sie forderte mehr Betriebskindergärten, Kleinkindertagesstätten und schulische Ganztagsbetreuung. In der Sozialpolitik stellte zudem Christian Wulffs „Kommission 21 – Arbeit für alle“ Neues zur Debatte. Mit der Option für Stoiber trat diese inhaltliche Diskussion jedoch völlig in den Hintergrund. Mit ihm ist wieder eine Person Programm.
Ähnliches gilt für die organisatorische Reform der CDU. Angela Merkel und ihre Generalsekretäre waren für eine stärkere Beteiligung der Basis eingetreten. Sie regten Mitgliederbefragungen bei Kandidaten und Sachthemen an, die Öffnung der Kreisparteitage, eine Amtszeitbegrenzung auf maximal 12 Jahre und die Beschränkung auf drei Vorstandsämter. Im Zuge der K-Frage erlahmte jedoch auch diese Debatte völlig. Der gebannte Blick auf Stoiber lenkte von der eigenen Partei ab. Und Merkel besaß nicht mehr die nötige Autorität, um Neuerungen durchzusetzen. Da sie zunehmend nur als Nummer zwei erschien, stellte sich nicht einmal ihre Bundesgeschäftsstelle geschlossen hinter ihre Vorschläge.
Kurzfristig mag es gut sein, dass die CDU als Partei in den Hintergrund tritt. Gerade die Wechselwähler wollen einen parteifernen Pragmatiker, nicht einen Funktionär. Langfristig werden die Christdemokraten aber überlegen müssen, wie sie unter Stoiber ihre Parteireform voranbringen. In der SPD gelang es Schröder dank Müntefering unerwartet gut, einige organisatorische Modernisierungen einzuleiten. Ob Stoiber eine ähnliche enge Zusammenarbeit mit Merkel und Meyer erreicht, ist offen. Die oft komfortable Zweiteilung in CDU und CSU könnte hier zu einer Selbstblockade führen.
FRANK BÖSCH
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