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Treuer Knecht der Gescheiterten

Als Generalsekretär hat Ruprecht Polenz der CDU gedient – und Angela Merkel, als wichtiges Bauernopfer beim ersten Machtkampf in der Union

von STEFAN KUZMANY

Die Bilder täuschen. Traurig, sehr traurig, habe er ausgesehen, der Ruprecht Polenz, wie er dastand neben seiner Parteivorsitzenden Angela Merkel im Berliner Konrad-Adenauer-Haus. Sie lobte ihn über den grünen Klee. Und er, der fast zwei Meter große Mann, sei den Tränen nahe gewesen, konnte man lesen, als sie ihn gefeuert hat aus dem Amt des Generalsekretärs der Christlich Demokratischen Union Deutschlands.

Knapp fünfzehn Monate später sitzt der Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz, 55, auf einem Drehstuhl in der Kreisgeschäftsstelle der CDU Münster und hält seine 123. Bürgersprechstunde ab. Die ist gut besucht: alte CDU-Haudegen und feiste Funktionäre der Jungen Union, Unternehmer, eine züchtige Studentin und einer, der gerade seine Lehre abgeschlossen hat, sie alle wollen ihn sprechen.

Polenz hat gerade eine Zahnwurzelbehandlung hinter sich, aber er lässt sich nicht unterkriegen. Er beugt sich weit vor, den langen Oberkörper auf die weit abgewinkelten langen Beine gestützt, und schaut dem Besucher wach, aufmerksam, nachdenklich in die Augen, hört zu und nimmt sich Zeit.

Zwischendurch hat er nur minutenweise Zeit, sein öffentliches Engagement zu erklären für die Frau, die ihn Knall auf Fall nach nur sieben Monaten aus dem Amt entfernt hat. Der er als Generalsekretär mit seinem Ausscheiden den besten Dienst erwiesen hat, vielleicht sogar den einzigen. Denn mit dem Hinauswurf des „Knecht Ruprecht, der nicht poltern kann“ (Süddeutsche Zeitung) konnte die farblose Parteivorsitzende beweisen, dass sie es ernst meint mit der Macht, harte, schnelle Entscheidungen trifft, den schwachen General abserviert. Und jetzt das: Ruprecht Polenz will, dass Angela Merkel Kanzlerkandidatin der Union wird. Weil sie Wähler erreichen könne, die die Union sonst nicht wählen würden.

Abserviert? So war es ja auch nicht. Tatsächlich einvernehmlich habe man die Entscheidung getroffen, den Posten des Generalsekretärs neu zu besetzen, sagt Polenz. Er selbst habe die „Rollenerwartung unterschätzt“, die an an ihn herangetragen wurde. Und das politische Klima habe sich gewandelt.

Als Ruprecht Polenz Generalsekretär der CDU wurde, war die Partei am Boden. Die Spendenaffäre machte sie politisch handlungsunfähig. Polenz sah es als seine Aufgabe, der Partei ihre Glaubwürdigkeit wiederzugeben, einen neuen Stil einzuführen im innerparteilichen Umgang, in der politischen Auseinandersetzung. Nicht, dass er sich sofort für jedes Amt geeignet halten würde. „Aber wenn man gefragt wird, wenn es der Partei schlecht geht. Wenn Freunde, von denen man insgeheim hofft, dass sie einem abraten, sagen: Mach das, du kannst das. Ich hätte das Gefühl gehabt zu kneifen, wenn ich es nicht getan hätte.“

Und kneifen wollte er nicht. Nicht, dass er Merkel nicht gewarnt hätte: „Sie kennen mich. Sie wissen, das ich keiner von denen bin, die draufhauen“, habe er Merkel gesagt. Die Reaktion der Parteivorsitzenden: „Das weiß ich. Aber von solchen Leuten haben wir in der CDU genügend.“ Darüber hätten beide ein wenig gelacht. Und dann sei das Thema erledigt gewesen.

Es war die Zeit der ruhigen, bescheidenen Töne in der CDU. Anders, meint Polenz, hätte er seine Arbeit gar nicht machen können: „Jede Polemik hätte die SPD doch mit dem Verweis auf die Spendenäffare gekontert.“

Also verfiel Polenz auf andere Methoden, der Öffentlichkeit zu gefallen. Als die Bild-Zeitung nach der Einführung der Ökosteuer auf Benzin eine „Wutwelle“ durchs Land rollen ließ, warf Kanzler Gerhard Schröder der Union „Nötigung“ vor. Polenz suchte sich einen Weg, diesen Vorwurf zu widerlegen. Er protestierte mit einer Tretrollerfahrt gegen die „K.-o.-Steuer“. Das war keine Nötigung, das war niedlich. Und mit dem Generalsekretär war dann auch bald vorbei. Trotzdem, sagt Polenz, in derselben Situation würde er es wieder so machen. Und die persönliche Wertschätzung für Angela Merkel habe unter der Aufgabe seines Amtes keineswegs gelitten.

Polenz ist ein leidenschaftlicher, auch vom politischen Gegner geachteter Außenpolitiker. Er kritisierte früh den „kritischen Dialog“ des damaligen Außenministers Klaus Kinkel (FDP) mit dem Iran. An der Politik von dessen Nachfolger Fischer hat er wenig auszusetzen. Bei der Abstimmung im Bundestag zur doppelten Staatsbürgerschaft enthielt sich Polenz der Stimme – er wollte nicht, wie die Mehrheit der CDU-Fraktion, dagegenstimmen. Wenn es um vorbildliche Parlamentarier geht, spricht er immer wieder von dem SPD-Politiker Norbert Gansel. Ruprecht Polenz engagiert sich für alleinerziehende Studentinnen in Münster und für amnesty international, er forderte eine Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens gegen den amerikanischen Todeskandidaten Mumia Abu-Jamal. Kaum auszudenken, dass so einer einmal Generalsekretär der CDU gewesen ist.

Wie er da sitzt, mit schwarzem Rollkragenpulli, grünem Cordjackett und grünen Cordhosen – könnte er, wenn er nicht so fest integriert wäre in das streng konservative, katholische Milieu Münsters, nicht auch in einer anderen Partei sein? Am ehesten, sagt Polenz darauf, fühle er sich noch wertkonservativen Grünen verbunden. Aber er ist ein Atomkraftbefürworter, und das vertrage sich nicht. Immerhin: er sagt nicht „Kernkraft“. Und wenn er, der für einen offenen, diskussionsfreudigen, den Gegner respektierenden Umgang in der CDU eintritt, sich vorstellt, was für ein Hauen und Stechen bei den Grünen herrscht – nein, danke. Dann schon lieber ein Leben ohne Politik. Aber nicht ohne Engagement. Dass er gehofft haben könnte, in ein doppelt unwahrscheinliches Kabinett Merkel als Minister einzutreten, das dementiert Polenz höchstens halbherzig. Ist ohnehin zu spät.

Am Nachmittag steht Ruprecht Polenz wieder auf freiem Feld. In der Nähe der A 1 soll ein Rastplatz erweitert werden, und die Anwohner wollen sich wehren. Also organisierte Polenz einen Ortstermin, auf dem sich die Beteiligten schon mal treffen können. Ein Polizeivertreter ist da, ein Mann von der Planungsbehörde, die örtlichen CDU-Politiker. Es ist bitterkalt. Doch Polenz hört geduldig zu, auch als die Rede längst beim angeblichen Baby-Strich ist, der sich ganz in der Nähe befinden soll, und der Bauer, dem der Acker gehört, auf dem die Parkplätze entstehen sollen, Schnurren erzählt von den Schwulen, die sich ebenfalls in der Nähe treffen und schon mal mit Straußenfedern an delikater Stelle dekorierten. Polenz hört sich alles an und verspricht schließlich, noch mal einen Vorstoß beim Verkehrsministerium zu machen, damit wenigstens der längst versprochene Lärmschutz bald ausgebaut wird. Obwohl er den Anwohnern nichts versprechen kann, sich selbst wenig Chancen auf Einflussnahme ausrechnet und später auch zugibt, dass es keine Rolle spiele, welche Partei die Verwaltung regiere – so beweist der Abgeordnete seine Bürgernähe.

Bei den Erststimmen verzeichnete er 1998 als einziger CDU-Abgeordneter ein Plus. Ruprecht Polenz hat ein neues Bild von sich machen lassen. Auf der frisch gedruckten Postkarte ist er abgebildet neben dem Bezirksschornsteinfegermeister Hans Rath, dieser in voller Montur, Polenz im Anzug. „Zwei Schwarze wünschen Ihnen viel Glück!“ steht da, und die beiden Männer recken dem Betrachter ihre gestreckten Daumen entgegen.

Wie er so dasteht, wirkt er wieder etwas unglücklich. Fast wie ein Prominenter, zu dessen Job es eben auch gehört, mal mit Passanten für ein Erinnerungsfoto zu posieren. Als sei er genötigt worden, steht er da. Die Bilder täuschen.

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