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Der Schurkenstaat, den es nicht gibt

Somalia gilt als Ziel US-amerikanischer Anti-Terror-Aktionen. Es hat ein Staatsgebiet, viele Warlords und eine sich abmühende machtlose Regierung

aus Mogadischu MIKE CRAWLEY

Wenn es in dieser kriegsgezeichneten Stadt einen Menschen gibt, der vor Islamisten Angst haben müsste, ist es Ibrahim Sheikh Mohamed. Der Arzt und Friedensaktivist sagte vor drei Jahren, dass nach Meinung zahlreicher islamischer Theologen Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Seitdem hat er Leibwächter.

Aber sogar Dr. Ibrahim glaubt nicht, dass die von den USA als terroristisch eingestufte islamistische Organisation Somalias „al-Ittihad al-Islamiya“ (Die Einheit des Islam) als terroristische Struktur existiert. „Sie haben keine organisierte Präsenz“, sagt er. „Ich glaube nicht, dass sie für Amerika oder irgendein anderes Land eine terroristische Bedrohung darstellen.“

Aus Washington hört man immer wieder, al-Ittihad sei mit Ussama Bin Ladens Terrornetzwerk verbunden und in Somalia sehr mächtig. In Wahrheit scheint sich al-Ittihad als Organisation weitgehend aufgelöst zu haben. Die Aktivisten sind noch da. Sie bedrohen aber nicht mehr die USA, sondern höchstens einzelne Somalis – wie Dr. Ibrahim. UN-Mitarbeiter haben in den letzten Wochen zwei Orte besucht, wo nach US-Angaben Trainingslager von al-Ittihad sein sollen. Sie fanden nichts.

Nichtsdestotrotz patrouillieren US-Kriegsschiffe vor der somalischen Küste, und US-Flugzeuge kreisen auf Aufklärungsflügen über dem Land. US-Geheimdienstler haben Hargeisa besucht, Hauptstadt des abgespaltenen Nordteils von Somalia „Republik Somaliland“, und Baidoa im Süden des Landes, Sitz regierungsfeindlicher Milizen.

Doch während klar ist, dass die USA Somalia genau beobachten, steht nicht unbedingt ein Angriff nach dem Muster Afghanistans bevor. „Luftangriffe sind kein wahrscheinliches Szenario“, sagt ein US-Offizieller in Kenias Hauptstadt Nairobi. Es gebe keine definierbaren Ziele für Bombardierungen. Wahrscheinlicher seien Aktionen von Special Forces, um vermutete Terroristen zu fangen oder zu töten. „Irgendwann werden wir nach Somalia kommen“, meint er, „nächsten Monat oder in sechs Monaten.“

Die unmittelbare US-Strategie in Somalia besteht darin, zu verhindern, dass das Land ein Zufluchtsort für Mitglieder von al-Qaida wird. „Natürlich ist Somalia ein mögliches Fluchtziel für Al-Qaida-Leute, weil die Regierung so schwach oder nicht existent ist“, schrieb US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz in der New York Times. US-Außenminister Colin Powell, der als gemäßigter gilt, sagte der Washington Post, das Chaos habe das Land „reif für den Missbrauch“ gemacht. „Das ist der wahre Grund, warum wir uns um Somalia kümmern – nicht um Somalia als Nation oder Regierung zu verfolgen, sondern um besonders sensibel für die Tatsache zu sein, dass Somalia ein Ort sein könnte, wo Leute Zuflucht finden.“

Somalia ist fast so groß wie Afghanistan und hat 3.000 Kilometer ungeschützte Küste, ein in zahllose Warlord-Territorien zerfallenes Staatsgebiet und eine islamische Bevölkerung. Aber es ist nicht nur instabil. Es gibt regionale Verwaltungen in den autonomen Gebieten Puntland und Somaliland; im Letzteren sind kaum Waffen auf den Straßen zu sehen. Nur der Süden ist noch zwischen Warlords geteilt, obwohl seit August 2000 eine Übergangsregierung in Mogadischu amtiert. Sie kontrolliert aber nur Teile der Stadt und nicht das gesamte Gebiete drumherum (siehe Interview).

Diplomaten meinen, die Somalis wären keine willigen Gastgeber für al-Qaida. Somalis misstrauen Fremden, und Ausländer als Geiseln zu nehmen, um damit Geld zu fordern, ist für manche Milizen die bevorzugte Methode des Geldverdienens. Für Bin Laden würden die USA 25 Millionen Dollar zahlen. „Er wäre nach fünf Minuten verkauft“, sagt ein westlicher Diplomat. „Er würde nur herkommen, wenn er überhaupt keinen anderen Ausweg mehr hätte.“

Die Regierung in Mogadischu hat eine Anti-Terror-Arbeitsgruppe gebildet, um ihren guten Willen unter Beweis zu stellen. Polizeichef Abdi Hassan Awale stimmt der Einschätzung zu, dass al-Ittihad nicht mehr als funktionierende Organisation existiert. Die Gruppe ist zuletzt 1996 militärisch in Erscheinung getreten. Damals wurde sie beschuldigt, Bombenanschläge auf Hotels in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba verübt zu haben. Später wurde sie von Äthiopiens Armee zusammen mit verbündeten somalischen Milizen besiegt.

Trotz des damaligen Erfolges beharrt Äthiopien darauf, dass Somalia Terroristen Schutz bietet, und wird darin von Gegnern der Übergangsregierung in Mogadischu unterstützt, die in Addis Abeba Asyl gefunden haben. „Wir kennen die Mitglieder von al-Ittihad und den Ort ihrer Trainingslager“, behauptete kürzlich Hussein Aidid, einer von Äthiopien unterstützten somalischen Warlords. „Nötig wäre eine gemeinsame Militäraktion der US-geführten Koalition, der somalischen Opposition und den Ländern der Region.“

Die CIA sucht tatsächlich nach somalischen Verbündeten, so wie die Nordallianz in Afghanistan. Aber Hussein Aidid wäre eine seltsame Wahl, obwohl er früher in den USA lebte und den Marines angehörte. Sein Vater Farah Aidid war der führende Gegner der US-Militärintervention in Somalia 1992/93. Aidids Miliz trieb damals die USA in die Flucht, als sie zwei US-Hubschrauber abschoss und 18 Elitesoldaten tötete.

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