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'Arisches' Monopoly

■ Nazis „arisierten“ 247 Häuser von jüdischen BremerInnen

Der Bremer Historiker Hanno Balz (Foto) nahm die „Arisierung“ jüdischen Grundbesitzes im Nazi-Bremen unter die Lupe. Die taz sprach mit ihm im Vorfeld eines Vortrages am Dienstag.

taz: Im 3. Reich rissen sich BremerInnen nicht nur den Hausrat ihrer jüdischen Nachbarn unter den Nagel. Auch deren Grundstücke und Häuser wechselten den Besitzer. In welchem Umfang fand die „Arisierung“ jüdischen Grundbesitzes in Bremen statt?

Hanno Balz: Wir wissen von 247 Häusern und Grundstücken, die „arisiert“ worden sind. Offiziell wurden die meisten davon „verkauft“. Oft genug waren die Juden aus wirtschaftlichen Gründen dazu gezwungen. Hinzu kam der wachsende Druck auszuwandern.

Wie sah das konkret aus?

Es gibt das Beispiel eines kleineren jüdischen Kaufmanns hier in Bremen, der wegen der Boykottmaßnahmen Mitte der dreißiger Jahre sein Geschäft aufgeben muss. Er erkennt, dass er in Deutschland keine Perspektive mehr hat, und beschließt auszuwandern. Das heißt, dass er sich von seinem Haus trennen muss, und er bietet es über eine Maklerfirma zum Verkauf an. In der „arischen“ Bevölkerung ist natürlich bekannt, dass die Bremer Juden und Jüdinnen ihren Besitz loswerden müssen. Also wird der Preis gedrückt. In Bremen wurden im Schnitt nur 68 Prozent des amtlichen Schätzwertes gezahlt.

Wer kaufte denn normalerweise die Häuser und Grundstücke?

In der Regel sind es Geschäftsinhaber oder Leute mit entsprechenden Rücklagen, die die Gunst der Stunde nutzten. Gerade in Zeiten der Inflation Mitte der 30er Jahre, war so ein Hauskauf eine gute Anlage.

Nahmen staatliche Stellen Einfluss auf den Preis?

Seit 1936 gab es staatliche Preislimits. Danach durfte nicht mehr als 80 Prozent des amtlichen Schätzwertes für ein Haus bezahlt werden. In der Regel war es allerdings so, dass das Katasteramt, das bei jedem Hauskauf prüfte, ob der Preis volkswirtschaftlich akzeptabel war, auch die niedrigsten Kaufpreise noch gedrückt hat – selbst wenn die schon weit unter dem Schätzwert lagen.

Gab es dennoch Handlungsspielräume und wo lagen die?

Je höher der Grad der persönlichen Bekanntschaft war, desto eher konte man einen einigermaßen vernünftigen Preis erzielen. Man hatte es also leichter, wenn man als jüdischer Besitzer in der Nachbarschaft, im Bekanntenkreis oder unter Geschäftspartnern einen Käufer finden konnte. Dann konnte man vielleicht auch den offiziellen Kaufpreis noch durch eine Barzahlung ergänzt bekommen.

Wie ging denn die Öffentlichkeit mit der „Arisierung“ jüdischen Grundbesitzes um?

Das lässt sich nur schwer herausfinden. Ich habe zum Beispiel einen Fall gefunden, wo eine Zeugin in einem Prozess nach dem Krieg gesagt hat, sie habe diese Häuser nicht kaufen wollen, weil sie sich nicht „versündigen“ wollte am Elend der deutschen Juden und Jüdinnen. Also es gab sicher ein Bewusstsein. Es gab aber auch Leute, die am Tag nach der Reichspogromnacht vor der Tür jüdischer Nachbarn standen und fragten: „Sie wollen doch jetzt sicher ihr Haus verkaufen?“ Mit den Deportationen ab 1941 fiel deren gesamter Besitz an das Deutsche Reich – in Bremen an das Oberfinanzpräsidium. Von den 247 „arisierten“ Häusern in Bremen sind 48 beschlagnahmt worden.

Wurden die Häuser jemals zurückgegeben?

In der Regel hieß es: „Rückerstattung vor Entschädigung“. Nur war natürlich für die meisten ehemaligen jüdischen BremerInnen Bremen kein Lebensmittelpunkt mehr. Wer überlebt hatte, wohnte meist in Amerika oder Israel und konnte mit einem Haus in Bremen nicht mehr viel anfangen. Nur wenige haben den Versuch gewagt, hier wieder Fuß zu fassen, und sind tatsächlich in ihr altes Haus wieder eingezogen. Viele ließen sich also lieber auszahlen. Fragen: hoi

Hanno Balz spricht am Dienstag um 20 Uhr in der Bremer Landeszentrale für politische Bildung am Osterdeich 6.

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