: „Auf was stehst du denn?“
Seit dem ersten Januar ist Prostitution nicht mehr sittenwidrig. Matti ist das egal. Er will gute Preise für seine Callboys und niedrige Steuern für sein Geschäft. Und möglichst wenig Öffentlichkeit
von THILO KUNZEMANN
Matti lehnt sich zurück und legt drei Handys auf den Tisch. Eines für Sebastian, eines für Paul und eines für Alexander. Ruft ein Freier an, sucht Matti den passenden Jungen aus. Am Nebentisch sitzt sein Neuer, Marijo. Müde stochert er in einem Teller Pasta. Seinen ersten Job hat der 23-Jährige gerade hinter sich. Eine Stunde aktiv und passiv für 80 Euro, natürlich mit Gummi, Blasen inklusive. „Er hat sich gut angestellt“, sagt Matti. „Er will bleiben.“
Matti wird wohl ein viertes Handy kaufen. Damit managt er die Termine und kassiert Provision. „Ich habe die Arbeit nicht erfunden. Sag ich ganz ehrlich. Ich mache mir die Finger nicht schmutzig.“ Das machen seine Jungs für ihn. Und seit dem 1. Januar tun sie dies völlig legal, den Sitten gemäß und rechtens.
Von neuem Stolz und selbstbewusstem Auftreten kann aber keine Rede sein. Alle bisher genannten Namen sind frei erfunden. Ein Gespräch in der Agentur ist nicht möglich. Ein dunkler Tisch in einem ruhigen Lokal muss genügen. Viele männliche Prostituierte führen ein Doppelleben. Alexander und Paul haben feste Freundinnen. Sebastian schindet sich in Magdeburg durch die Grundausbildung der Bundeswehr, er arbeitet nur an den Wochenenden. Marijo kommt aus Jugoslawien, ihm fehlt die Arbeitserlaubnis.
Muss ja keiner wissen, sagt Matti, und bisher habe es auch niemanden interessiert. Am liebsten wäre ihm, nichts würde sich ändern. „Seit 1997 ist meine Agentur als Begleitservice angemeldet. Ich zahle den Jungs ihren Anteil aus. Versichert sind sie über ihre Arbeitgeber oder die Eltern.“ Ob das legal ist, weiß er nicht. Aber immerhin, sagt Matti, zahle er Steuern. „Wenn ich mich jetzt aber beim Gewerbeamt als Zuhälter anmelden will, dann zeigen die mir doch einen Vogel.“ Das neue Gesetz ist ihm zu schwammig. „Ob Zuhälterei jetzt legal ist, entscheiden die Gerichte doch, wie sie wollen.“
Öffentlichkeit, sagt Matti, sei sowieso nicht gut in seinem Gewerbe. Zu ihm kommen Familienväter, Geschäftsleute und Politker. Männer zwischen 30 und 50 Jahren, die glauben, schwul sein sei schlecht für die Karriere oder das Image.
Das blaue Handy klingelt. Matti räuspert sich, hebt ab und sagt sanft: „Hallo, auf was stehst du denn?“ Sein Berliner Akzent ist plötzlich verschwunden. „Das wären dann 80 Euro für ein Treffen.“ Schweigen. „Aufgelegt. War ihm wohl zu teuer.“ Die Preise, sagt Matti, seien „beschissen“. In München oder Köln, zwei schwulen Hochburgen, gehe es erst ab 150 Euro los. In Berlin ist die Konkurrenz unter den Callboys größer. Wer aus Osteuropa kommt, landet hier. „Die versauen dir die Preise“, meint der Zuhälter. Zur Euroumstellung hat er deshalb aufgerundet. Statt 150 Mark zahlen Stammkunden jetzt 80 Euro.
„Begleitservice sucht attraktive Jungs“ – so in etwa lautet die Annonce, die Matti regelmäßig in den Berliner Schwulenmagazinen schaltet. Auch Alexander und Paul hat er so gefunden. Seit zwei Jahren sind sie dabei. Eine Ausnahme. „Im Normalfall hat ein Callboy nach einem Jahr abgegessen, dann muss er die Stadt wechseln.“ Doch die beiden sind jung, laut Inserat unter 20 Jahren. „Je jünger, desto besser“, sagt Matti. „Ist doch so.“
Während ihrer Lehre schafften sie von 16 Uhr bis 22 Uhr an. „600 Mark Lehrgeld pro Monat verdienen sie bei mir in ein paar Tagen.“ Jetzt schieben die beiden den ganzen Tag Bereitschaft. Von 11 bis 22 Uhr müssen sie erreichbar sein. Ein bis zwei Jobs pro Tag sind die Regel, drei das Maximum. Viel mehr geht nicht. „Die müssen ja noch einen hochkriegen.“ Deshalb arbeite die Mafia auch nur mit Frauen, sagt er. Da lasse sich mehr verdienen.
Doch auch Matti achtet aufs Geld. Einmal wollte ein Freier nicht zahlen. Matti rief die Polizei, sein Anwalt regelte den Rest. Probleme mit den Behörden hatte er auch vor der Gesetzesnovelle nicht. „Ich hab noch keinen Bullen gesehen, der einen Callboy eingesackt hat.“ Steuerhinterziehung aber bleibt strafbar, deshalb zahlt er seit einem Jahr Umsatz- und Einkommensteuer. Viele selbstständige Callboys würden aber weiterhin schwarz arbeiten, glaubt Tommy. „Die fangen doch jetzt nicht an, alles zu versteuern.“ Wenn das Finanzamt mit Kontrollen beginne, würden viele in Schwierigkeiten kommen. „Der Markt lichtet sich ja jetzt schon. Seit dem 11. September gehen die Umsätze zurück. Also bin ich in die Offensive gegangen.“ Tommy stellte eine simple Homepage mit einigen Aktbildern ins Netz. Innerhalb von zwei Monaten begutachteten 3.648 Interessenten seine halbnackten Angestellten. Die meisten wollen nur gucken, sagt Tommy. Genau wie die Typen am Telefon: „90 Prozent Spinner. Die wollen nur umsonst Telefonsex oder möchten die Jungs verarschen.“ Stammkunden, sagt er, Stammkunden seien das A und O im „Dienstleistungsgewerbe“. Früher, in seinem eigenen Bistro, war das nicht anders. „Zufriedene Kunden kommen wieder.“
Das schwarze Handy klingelt. „Hallo“, sagt Matti mit einem Schnurren, lauscht und spricht dann normal weiter. „Du, ich hab ‘nen Neuen.“ Er spielt mit seinem Kugelschreiber und beschreibt genüsslich Marijos Vorzüge. „Ein hübscher Kerl. So einsachtzig mit einem 22 Zentimeter langen Schwanz. Na ja, eher blond. Ja, schlank und 100 Prozent schwul. Mir gefällt er.“ Drei Minuten währt das Verkaufsgespräch, dann steht der Termin. Sollte es sich Marijo noch einmal überlegen, gibt sich der Kunde mit Alexander zufrieden. „Da kannste ja nichts falsch machen“, sagt Matti kumpelhaft.
Auch das graue Handy klingelt jetzt. Matti kennt die Nummer. „Hallo Purzelchen.“ Es ist Sebastian. Ein Jahr lang waren der Callboy und sein Chef ein Paar. Jetzt, sagt Matti, sei es „eine Vater-Sohn-Beziehung“. Was solle man denn erwarten bei 20 Jahren Altersunterschied? Auch manche Freier verlieben sich in die Callboys. Gut so, sagt Matti, Romantiker kämen garantiert wieder. Skrupel hat er nicht, wenn er seinen Jungs sagt, sie sollten ihre Kunden „um den Finger wickeln“. Seine Probleme sind banaler. „Am 18. Januar frei? Kann ich dir nicht versprechen. Na ja, da ist noch die Grüne Woche und ich habe schon einige Anmeldungen.“ Die Jungs sind gut ausgelastet, das Geschäft läuft. „Noch Fragen?“ Genug geredet, damit lässt sich nichts verdienen. „Und noch mal: Keine Namen, keine Adressen. Sonst steht das Finanzamt vor meiner Tür.“ Matti packt seine Handys wieder ein. Er muss noch Briefmarken kaufen für die Geschäftspost, normaler Büroalltag eben.
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