: „Das Kämpfen hat sich gelohnt“
Interview LUKAS WALLRAFFund SEVERIN WEILAND
taz: Frau Süssmuth, freuen Sie sich darauf, für Herrn Stoiber Wahlkampf zu machen?
Rita Süssmuth: Mein Engagement ist ein Engagement für die CDU/CSU, somit natürlich auch für den vorgeschlagenen Kanzlerkandidaten.
Können Sie unseren Lesern sagen, welche Gründe es gibt, Stoiber zu wählen?
Wir befinden uns in Deutschland in einer schwierigen Situation, was die Arbeitsmarktlage betrifft. Die Menschen suchen nach Perspektiven. Ich erlebe sehr häufig, dass die Menschen das Gefühl haben, sie könnten selbst nur wenig oder gar nichts zur gesellschaftlich notwendigen Veränderung beitragen. Es wird daher von einem Retter auf den nächsten geschaut. Das war erst Helmut Kohl, dann Gerhard Schröder, jetzt wird auf den nächsten Retter geschaut.
Besonders enthusiastisch klingt das nicht. Was wird Stoiber denn besser machen?
Er und seine Vorgänger haben in Bayern gezeigt, dass man aus einem Agrarland ein Industrieland machen kann. Er hat bewiesen, dass er dabei – und das sage ich aus tiefster Überzeugung – das Wirtschaftliche mit dem Sozialen verbindet. Wer von Stoiber annimmt, dass er den Sozialstaat erheblich abbaut, der täuscht sich. Bei aller Förderung von High-Tech haben die Bayern auch immer gezeigt: Wir können Wahlen nur in der Mitte, mit den kleinen Leuten, wie man so sagt, gewinnen. Das ist ein Markenzeichen der CSU.
Wahlen gewinnt man aber vor allem auch mit der weiblichen Wählerschaft. Wäre es da nicht besser gewesen, Angela Merkel aufzustellen?
Ich hätte es spannender gefunden, eine Frau als Kanzlerkandidatin und als mögliche Kanzlerin zu haben. Trotzdem kann ich nicht die Augen davor verschließen, dass Angela Merkel in vielen Umfragen keine ausreichende Unterstützung bei der Bevölkerung hatte. Und in der Partei brauche ich mich gar nicht auf die Demoskopie berufen, denn von 16 Landesvorsitzenden war die weit überwiegende Mehrheit für Stoiber.
Warum wurde dabei das Votum der Frauenunion für Merkel so wenig wahrgenommen?
Wir müssen leider feststellen, daß wir Frauen bis heute kein wirklicher Machtfaktor sind. Und das, obwohl wir bei der letzten Wahl erlebt haben, dass die CDU viele Frauen als Wählerinnen verloren hat. Die Einschätzung der K-Frage hatte am Ende, leider, auch sehr viel mit den stereotypen Vorurteilen über Macht in Frauenhand zu tun. Doch ich will auch selbstkritisch festhalten: als Frauenunion hätten wir wahrscheinlich schon früher für Merkel mobilisieren müssen.
Aber ist es nicht auch manchen Frauen schwergefallen, für Frau Merkel zu kämpfen, weil sie Stoiber schlicht und einfach für besser hielten?
Die Frage in einer Mediengesellschaft ist doch, welche Verhaltensmuster werden positiv und welche werden kritisch bewertet. Angela Merkel war offen für Debatten – dieser Stil wurde leider kaum in der Öffentlichkeit und in der Partei honoriert. Die Fähigkeit von Frauen, kooperativ zu sein, auch einmal ihre Meinung zu verändern – all das wird immer noch eingeordnet in eine Schublade – nach dem Motto: die zeigt doch kein Profil! Dabei sind wir, Frauen und Männer, gerade heute in vielen Bereichen unserer Gesellschaft – ich brauche nur Stammzellenforschung zu nennen – Suchende und stehen vor schwierigsten, hochkomplizierten Entscheidungsprozessen. Da hilft kein schnelles Ja oder Nein, und auch kein Machtwort.
In der Union scheint man sich danach aber gerade zu sehnen. Kann Angela Merkel denn noch Parteichefin bleiben?
Angela Merkel hat den Kampf um die Kanzlerkandidatur verloren, aber sie hat ihre Stärke und Rolle im Vorsitz zunächst gefestigt. Sie hat weiterhin Zukunftschancen.
Wie bitte?
Ich möchte nicht wissen, wie die CDU-Vorstandssitzung in Magdeburg verlaufen wäre, wenn sie nicht vorher gehandelt und auf ihre Kandidatur verzichtet hätte. Insofern hat sie Schaden von der Partei abgewendet und damit auch Schaden für sich.
So schwer wie in der Kandidatenfrage tut sich die Union auch beim Zuwanderungsgesetz. In den letzten Monaten mußte man den Eindruck gewinnen, die Union wolle am liebsten das Wort Zuwanderung durch Begrenzung ersetzen.
Das Zuwanderungsgesetz ist notwendig. Eine Verengung der Diskussion auf Begrenzung wäre nicht nur ein Etikettenschwindel. Es wäre ein folgenreicher Fehler, für den wir alle einen hohen Preis zahlen müssten. Wenn wir die Realität betrachten, sind wir seit Jahren ein Einwanderungsland. Abgesehen von den Jahren 97/98 haben wir im Schnitt eine Nettozuwanderung von rund 200.000 Personen.
Ihre Parteifreunde halten Ihnen vor, bei 4 Millionen Arbeitslosen könne man Zuwanderung gar nicht mehr vermitteln.
Es ist doch selbstverständlich, dass durch Zuwanderung in den Arbeitsmarkt nicht die Anstrengungen bei Ausbildung, Fortbildung und Integration unserer Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt gehemmt werden dürfen. Keiner sagt, dass Zuwanderung unsere Probleme löst – aber sie reduziert sie. Wir haben deshalb in der Kommission vorgeschlagen, zunächst einmalig 50.000 Zuwanderer mit breiter fachlicher Qualifikation, ausgesucht durch ein Punktesystem, zu uns zu holen.
Davon redet Innenminister Otto Schily nicht mehr.
Mag sein, dass es im jetzigen Gesetzesvorhaben eine nachranginge Position einnimmt. Aber ich bin vom Punktesystem, dessen Vorbild das kanadische Modell ist, überzeugt.
Fühlen Sie sich nicht alleingelassen? Erst rückt ihre Partei von Ihnen ab, dann Schily.
Viele Elemente aus dem Bericht der Kommission sind auch im jetzt vorliegenden Gesetzentwurf enthalten. Ich habe im Laufe meines Politikerlebens mehrfach erfahren müssen, dass es oft lange dauert, bis sich neue Vorschläge in der Praxis durchsetzen.
Derzeit sieht es aber nicht danach aus, als ob Ihre Partei dem Zuwanderungsgesetz zustimmt.
Warten Sie doch ab. Ich wünsche mir auf jeden Fall, daß das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Es darf, bei allen unerledigten Reformen, nicht auch noch in diesem Bereich Stagnation geben.
Ist das nun ein Appell an den Kanzlerkandidaten Stoiber?
Es ist ein Appell an diejenigen, die jetzt politische Veranntwortung tragen – und an diejenigen, die in der Opposition sind. Von unserem Kandidaten wünsche ich mir, dass er nichts unversucht lässt, um zu einer gemeinsamen gesetzlichen Regelung zu kommen.
Ein Streitpunkt ist das Nachzugsalter für Kinder. Sie haben 18 vorgeschlagen, Schily geht offenbar von 14 auf 10 herunter.
An diesem Punkt sollte man das Gesetz nicht scheitern lassen.
Was ist für Sie unverzichtbar?
Natürlich brauchen wir Zuwanderung im deutschen Interesse. Aber unabhängig davon sind wir zugleich dem humanitären Schutz von Flüchtlingen verpflichtet. Gerade das Beispiel Afghanistan hat uns gezeigt, dass im Bereich der nichtstaatlichen Verfolgung eine Statusverbesserung notwendig ist. Daher wünsche ich mir, dass Formulierungen der Genfer Flüchtlingskonvention endlich in unser Recht eingebaut werden.
Wäre es für Stoiber nicht sogar strategisch klüger, die Zuwanderung mitzutragen, um größere Erfolgsaussichten in der politischen Mitte zu haben?
Es ist in den letzten Tagen, von allen Seiten, viel von Verantwortung die Rede gewesen. Ich kann nur hoffen, daß sich unser Kandidat dieser großen Verantwortung bewußt ist. Mit Sorge habe ich zuletzt die sehr polarisierenden Wahlkämpfe in Dänemark und Australien registriert, die ja leider auch gegen Einwanderer gerichtet waren.
Also sollte das Thema aus dem Wahlkampf herausgehalten werden?
Nein, es muss über Zuwanderung gesprochen werden. Nur: es kommt bei diesem Thema, das sehr leicht emotional hochgekocht werden kann, entscheidend auf das Wie an.
Sie treten im September nicht mehr für den Bundestag an. Kürzlich haben Sie geschrieben, sie seien oft gegen den Strom geschwommen. Hat Sie das müde gemacht?
Nein. Ich bin und bleibe ein politisch denkender Mensch und ich werde mich auch weiter äußern. Im Übrigen ging es mir nie um das Gegen-den-Strom-Schwimmen an sich. Für mich standen jeweils grundsätzliche Positionen im Vordergrund.
Manche, wie der Altkanzler Helmut Kohl, haben Ihnen das als Profilierungsversuche ausgelegt.
Augenblick mal. Das hätte ich mir leichter machen können. Bei der Hilfe für Aids-Erkrankte, dem Versuch ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzung entgegenzuwirken, der Reform des § 218 und der Frauenfrage habe ich kämpfen müssen – auch gegen Vorstellungen aus den eigenen Reihen. Aber es hat sich gelohnt.
Mit Ihnen, Heiner Geißler und Norbert Blüm verlassen prägende Vertreter einer liberalen CDU-Generation das Parlament. Macht Sie das nicht wehmütig?
Ich fühle mich dieser Generation, so unterschiedlich wir sind, sehr zugehörig. Ich habe sehr viel gelernt, vor allem von Heiner Geißler. Für mich als eher vorsichtiger Mensch war mancher Schritt, den ich getan habe, ein unglaublicher Kraftakt. Ich musste lernen, dass in der Politik das Zusammengehen mit Gruppen Voraussetzung ist für die Durchsetzung bestimmter Ideen ist. Ich bin ein Mensch, der immer nach Visionen gesucht hat – und nach Menschen, die dies ebenfalls tun.
Werden unter Stoiber diejenigen, die sich in ihrer Nachfolge sehen, nicht noch mehr an den Rand gedrängt?
Nein, da bin ich optimistisch, dass dies mit Stoiber nicht geschehen wird. Jede Partei braucht Menschen, an denen sie sich abarbeiten kann – und die es wagen, auch Neues, bisher Unvertrautes in die politische Diskussion einzubringen.
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