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Krabbelschleuse aus Haartrocknern

Maschinen, Schlagsahne, Vorträge und obskure Metaphorik: Der Aktionskünstler John Bock tritt heute im Rahmen der Paul McCarthy-Retrospektive im Kunstverein Hamburg auf  ■ Von Nikola Duric

Hannover im Jahr 2000, auf dem Expo-Gelände: Zwischen High-Tech Pavillons und Ethno-Spielwiesen steht ein alter Traktor, er gehört John Bocks Vater. Es ist ein „John Deer“ aus dem Jahre 1965. Bock ist damit vom väterlichen Gut in Gribbohm bis nach Hannover gefahren. Er hat eine Schnapstankmotorhaube auf den Gerätezug montiert. Der Tank besteht aus einer doppelten Schalung Plexiglas, in die Doppelkorn gefüllt wird. An den Seiten befinden sich Zapfhäne, aus denen der „Sprit“ an die Besucher ausgeschenkt wird.

In der glanzgestylten und hochtechnisierten Umgebung des Expo-Geländes wirkt John Bocks erweiteter Traktor wie ein Relikt aus alten Zeiten. Vielleicht ist gerade dies der Grund dafür, dass vor allem Männer am Traktor stehenbleiben und Gespräche mit Bock über Biogas, Landwirtschaft und eigenartige Kunst beginnen und das Gesagte gleich mit Schnäpsen begießen.

John Bock hat zuerst Betriebswirtschaft und dann Kunst in Hamburg studiert. Seine Arbeiten sind meist zusammengeschusterte Geräteparks, die er in vortraghafter Weise bespielt. In der Nachfolge von Marcel Duchamps' „Schokoladenmühle“ konstruiert er begehbare Labyrinthe, die aus einem System von Mehrzweckzeichen bestehen. Während er seine „Architektur“ durchklettert, hält er erklärende Vorträge über jene Zeichen. Joseph Beuys zeichnete ökonomische Systeme in Performances nach, John Bock erweitert diese Tradition um einen räumlichen Aspekt. In seinen Aktionen werden die Wunschmaschinen Deuleuze/Guattaris tatsächlich gebaut.

Während er sich in seinen Sperrholzgebäuden bewegt, beleuchtet er zum Beispiel seinen eigenen Wirkungskreis (“Kunstwohlfahrtsmaschine“, 1993) in frei gehaltenen Vorträgen, die sich zwischen ökonomischem Kasperletheater und High-Speed-Kolloquien bewegen. In seinem Aufbau „Der Fall des reinen Tausches in der Edgeworth-Box“ erklärt er die Zusammenhänge zwischen Kunstbetrieb, Weltmarkt und männlichem Blick.

Für diese Performance hatte er in einer zweistöckigen Krabbelschleuse aus Haartrocknern eine Ansaugbox für lebende Heuschrecken konstruiert, die in eine Drechselmaschine gezogen wurden, während er sich seinen Körper mit Rasierschaum und Dosenschlagsahne verkleidete. Bocks schnelle und gebrochene Sprache erinnert an Jaques Palmingers LSD-Vorträge, seine Aktionen an Rene Polleschs sprachlose Theaterinterludes.

Die benutzten Materialien werden bei Bock nicht einer poetischen Mechanisierung unterworfen. Bei Paul McCarthy zum Beispiel, in dessen Ausstellung Bock jetzt im Kunstverein auftreten wird, sind Ketchup und Kakao recht einfach als Blut und Kot wiederzuerkennen, sie stehen für den American Way of Essen, Leben und Ausscheiden und feiern dabei genüsslich den gleichzeitig mitgelieferten Ekel und die Kritik. John Bocks Schlagsahne bleibt Schlagsahne und überspringt die nahe liegende Interpretation des Betrachters, dass es sich dabei um süße Verzierung handelt: wenn schon Metaphorik, dann eine dunklere, weiter entfernt liegende, unklare.

Die meiste Zeit, so erklärt John Bock, ist er damit beschäftigt, seine während der Aktionen zerstörten Konstruktionen wieder aufzubauen. Und weil sich Aktionen schlecht vermarkten und verkaufen lassen, baut Bock nun seit einiger Zeit Kleidungsstücke aus Pappkartons und zerschnittenen Prada-Pullovern.

Ob er für seine heutige Aktion mit einem Apparat oder mit einem Vortrag oder mit einer Kombination aus beidem anreisen wird, ist noch unklar, aber zwei Sachen sind jetzt schon sicher. Erstens: Ein Vorhang wird eine Rolle spielen. Und zweitens: Bei John Bock, da werden Sie gelernt.

John Bock-Performance: heute, 19 Uhr, Kunstverein, Klosterwall

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