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Neues ästhetisches Denken

Ein einfach gutes, mit viel Kompetenz und Geschmack zusammengestelltes Programm, dem aber der visionäre Zugriff fehlt: Heute beginnt mit den Konzerten von Dror Feiler und Werner Dafeldecker das Festival für zeitgenössische Musik, „Ultraschall“

von BJÖRN GOTTSTEIN

Das klingt zunächst einmal ganz nett, wenn die vier Saxofone rührig und unbekümmert vor sich hinfauchen und sich gegenseitig melodische Happen vorwerfen. Die naive Frische, mit der dieses Saxofonquartett beginnt, erinnert an den robusten Tonsatz Hindemiths, seine harmonische Unbeweglichkeit an den statischen Sog der Minimalisten. Erst nach und nach bricht das dichte Gefüge auseinander. Als hätte der Komponist die Instrumente mit einer zähen Flüssigkeit überzogen, bleiben diese jetzt an den Klängen hängen, wird Eloquenz zum verzögernden Stottern.

Fabien Lévys Saxofonquartett „Durch“ (1998) ist Zeugnis eines neuen ästhetischen Denkens, mit dem junge Komponisten seit einigen Jahren durch die Konzertsäle fegen. Eine schlüssige Dramaturgie, stilistische Unbedarftheit, kompositionstechnische Perfektion: Das sind die Merkmale dieser Musik, die sich heute nicht mehr als avantgardistisch oder gar experimentell apostrophieren lässt, die nicht auf einen wohl auf kommende Jahrzehnte ohnehin nicht zu realisierenden ästhetischen Schock aus ist und der kein höherer Auftrag, kein politisches Programm, keine Ideologie zugrunde liegt.

Lévy schreibt wahrscheinlich das, was der Volksmund meint, wenn er unreflektiert von „einfach guter Musik“ spricht. Der studierte Volkswirt und Musikwissenschaftler Fabien Lévy, Jahrgang 1968, wohnt derzeit als Stipendiat des DAAD in Berlin und er ist einer der Komponisten, denen das heute Abend beginnende Festival „Ultraschall“ ein Porträtkonzert widmet. Die Konzertreihe, die zum vierten Mal vom DeutschlandRadio und vom SFB ausgerichtet wird, verzichtet auch in diesem Jahr auf ein triftiges Motto. Die Begründung ist verständlich: ein zu starres Konzept enge ein, ein zu weitläufiges Motto wirke beliebig. Und trotzdem bleibt ein Programm ohne roten Faden unbefriedigend, sofern den Konzerten eine deutliche Handschrift, eine Signatur abgeht.

Gewiss sind neunzehn Veranstaltungen innerhalb von zehn Tagen kein bescheidener Brosamen, den man im Vorbeigehen verkostet. Aber in einer Stadt, in der Neue-Musik-Initiativen blühen und es an Engagement beileibe nicht mangelt, droht einem solchen Festival der Mediengaraus. Hinzu kommt, dass die künstlerischen Leiter, von der opulenten Infrastruktur der Sendeanstalten einmal abgesehen, gerade einmal über geschätzte 130.000 Euro frei verfügen können. Drei Kompositionsaufträge bei insgesamt sieben Uraufführungen: eine echte Bereicherung des Repertoires ist „Ultraschall“ nicht. Aber aus der Not eine Tugend zu machen, lässt sich vielleicht auch als Reaktion auf den verordneten Uraufführungszwang verstehen, den vor allem die Berichterstattung stumpf einklagt und von der man sich selbst auch nicht freisprechen kann.

Das „Ultraschall“-Programm wirkt folgerichtig ein wenig zusammengeklaubt: mit viel Kompetenz und Geschmack eingekauft, weniger als handfeste Vision gestaltet. Ein Beispiel: das Peter-Eötvös-Porträt am Samstag in den Sophiensälen, auf das sich nicht zu freuen nur groben Ignoranten freisteht, wurde von demselben Ensemble im vergangenen Herbst auf dem Straßburger „Musica“-Festival präsentiert. Nichts spricht dagegen, dieses Konzert jetzt auch in Berlin zu programmieren.

Nur muss man sich darüber im Klaren sein, dass „Ultraschall“ damit seine überregionale Ausstrahlung preisgibt. Es ließe sich gewiss lange lamentieren, dass die Berliner Rundfunkanstalten der neuen Musik nicht das erforderliche Budget einräumen, um wirklich zukunftsweisende Projekte zu lancieren. Aber man redete sich die Zähne stumpf und vergisst darüber schließlich die Musik: neben den erwähnten Eötvös- und Lévy-Porträts vor allem die konzertanten Monografien über Rebecca Saunders und Salvatore Sciarrino, die „Lange Nacht des Klaviers“, in der morgen Abend drei Pianisten die schönsten Malträtate der Klaviatur durchforsten, die Präsentation jüngster Arbeiten des TU-Studios, mit einem neuen Stück von Kirsten Reese, die es wie keine zweite versteht, entlegene und versponnene Ideen zu poetischer Dichte zu führen, oder ein Konzert des Ensemble Recherche mit Musik des italienischen Tonzertrümmerers Pierluigi Billone. Kein ästhetischer Schock, kaum Ideologie, wahrscheinlich ist es „einfach gute Musik“.

Eröffnungskonzerte mit Dror Feiler und Werner Dafeldecker, heute, 19 Uhr und 21 Uhr, Sophiensäle, Sophienstraße 18

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