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Peronismus etc.

Kein anderes lateinamerikanisches Land ist so von europäischer Einwanderung geprägt wie Argentinien. In mehreren Wellen kamen um die Jahrhundertwende Arbeitsmigranten insbesondere aus Italien, aber auch aus Deutschland und anderen Ländern in das blühende Riesenland Südamerikas. In den Dreißigerjahren existierte in Argentinien die größte Auslandsorganisation der NSDAP. Als deren führende Köpfe heim ins Reich gerufen wurden, kamen die anderen, die Juden und Verfolgten des Naziregimes aus verschiedenen europäischen Ländern. Ganze Stadtviertel der Hauptstadt Buenos Aires wurden zu jüdischen Vierteln. Bis vor wenigen Jahren berichtete die jüdische Wochenzeitung Semanario Israelita regelmäßig über und für die jüdische Gemeinde. Gefördert durch Perón, wurde Argentinien nach 1945 wiederum zum Fluchtland für unzählige deutsche NS-Verbrecher.

Peronismus heißt die Gesamtheit der von der Politik des Generals Juan Domingo Perón (1895–1974) abgeleitete Denkströmung der argentinischen Politik. Als Teil einer Gruppe putschender Militärs wurde Perón 1943 Arbeits- und Sozialminister und als solcher populärer Führer einer Massenbewegung der Arbeiter und Gewerkschaften. 1946 zum Präsidenten gewählt, setzte er – ein Verehrer des italienischen Faschismus eines Benito Mussolini – eine Politik der Industrialisierung und staatlichen Wirtschaftsintervention durch, gepaart mit Sozialprogrammen für die verarmten Arbeiterschichten, allerdings ohne die Besitzverhältnisse im Land grundlegend anzutasten. Seine Popularität wurde nur noch durch die seiner Frau Eva Duarte, genannt Evita, übertroffen, die 1952 starb. 1955 wurde Perón vom Militär gestürzt und ging ins Exil. Ende 1973 kehrte er zurück und wurde wiederum Präsident, bis er 1974 starb. Bis heute berufen sich rechte wie linke Kreise und vor allem die Gewerkschaften auf Perón. „Offizielle“ peronistische Partei ist die „Partido Justicialista“, der sowohl der Expräsident Carlos Menem (1989–2000) als auch der jetzige Präsident Eduardo Duhalde angehören.

Argentiniens Militärs haben nach der schmählichen Niederlage im Falklandkrieg und den Bluttaten der Diktatur das Ansehen in der Öffentlichkeit weitgehend verspielt. 1995 wurde die Wehrpflicht in Argentinien abgeschafft, das Militär verkleinert. Die politische Instabilität aufgrund der Wirtschaftskrise lässt viele wieder angstvoll auf Bewegungen in den Kasernen schauen, doch scheint die Kraft zur internen militärischen Intervention, die seit 1930 die Geschicke der argentinischen Politik bestimmte, geschwunden zu sein. pkt

Literatur:

Ambos, Kai: Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen. Zur „impunidad“ in südamerikanischen Ländern aus völkerstrafrechtlicher Sicht. Ed. iuscrim, Max-Planck-Inistitut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg im Breisgau 1997, 439 Seiten (vergriffen)

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile–Lateinamerika (FDCL) (Hrsg.): Argentinien: Warten auf Gerechtigkeit. Menschenrechte und der lange Kampf gegen Straflosigkeit 25 Jahre nach dem Militärputsch (Reader), Berlin 2001, 132 Seiten, 5 €

Heinz, Wolfgang S.: Neue Demokratien und Militär in Lateinamerika. Die Erfahrungen in Argentinien und Brasilien (1983–1999), Vervuert, Frankfurt am Main 2001, 386 Seiten, 45 €

Nolte, Detlef (Hrsg.): Vergangenheitsbewältigung in Lateinamerika, Vervuert, Frankfurt am Main 1996, 228 Seiten, 18,41 €

Nunca más. Informe de la Comisión Nacional sobre la desaparición de personas, Buenos Aires 1984, 490 Seiten

Weber, Gaby: Die Verschwundenen von Mercedes-Benz, Assoziation A, Berlin/Hamburg/Göttingen 2001, 122 Seiten, 10,12 €

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