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Abstoßende Umarmung mit Schwitzen und Schütteln

■ Bremens „Ilse Lau“ verleugnen den Rock in einem Takt, nur um ihn mit dem nächsten wieder zu beleben

Man kann sich schwer vorstellen, wie das ist: aus tiefem Herzen etwas ablehnen und es genauso emphatisch zu erfüllen. Aber man kann es sich anhören: etwa auf Wijbren de Beer (Fidel Bastro), der neuen CD von Ilse Lau. Dort versuchen drei Herren aus Bremen vehement das Format „Rock“ abzustreifen. Sie spielen Gitarren-Akkorde so schief, dass Reinhard Mey die Tränen ins Gesicht schießen würden. Sie machen Pausen dort, wo gerade warm Genickte das Haupthaar fliegen lassen wollten, und sie lassen ein Thema bewusst weiterstolpern, das schon beim ersten Mal nicht ganz sicher klang.

All das tun Ilse Lau, weil sie vermutlich irgendwann zuviel langweiliger Rockmusik ausgesetzt waren. Und vermutlich wandelt sich diese angestrengte Verneinung eben aufgrund ihrer Rock-Sozialisation spätestens jetzt in eine ganz famose Puzzle-Rock-Version, inklusive Schwitzen, Springen, Haareschütteln. Das war nicht immer so. Denn früher strengten sich Ilse Lau noch mehr an, nicht zu rocken. Sie frickelten eifrig vor sich hin, verliebt in Dissonanzen, ungerade Rhythmen, unkenntliche Melodien. Das zu betonen, gab es auch einen Saxophonisten, was das jazz-versierte englische Musikmagazin Wire zu einer wenig schmeichelhaften Kritik des ersten Albums veranlasste.

Seither haben sich Ilse Lau etliche Monate in ihrem Proberaum eingeschlossen, den Saxophonisten entlassen, schräge New Wave-Platten gehört und ihren Soundsud weiter heruntergekocht: An mancher Stelle haben sie ihn angedickt, an anderer entschlackt, und sind so zu einer entschieden erwachseneren Band geworden. Und heute nun, mit besagter zweiter CD und gefeierten Auftritten vor diversen Japan-Noisern als Beweis, laufen Ilse Lau wackelfrei auf einem eigenen Parcours zwischen Captain Beefheart dem Skin Graft-Label und Mini Pops, selbstsicher genug, auch einmal drei Takte geradeaus spielen zukönnen, wo es passt. Vor allem wissen sie heute, wo was passt, und das lässt sie zu einer verdammt guten „Rockband“ werden. Das trifft auch auf Berlins Das zuckende Vakuum zu, die in den Achtzigern ihrer Präzisionsrhythmik wegen noch als Jazzcore durchgegangen wären. Das Menü abrunden werden – möglicherweise – die wiederholt zu- und wieder abgesagten Sportato Fritz, hinter denen sich eine für diesen Abend zusammengesetzte Supergruppe aus den beiden Hamburger Bands Sport und Potato Fritz verbirgt. Guten Appetit.

Gregor Kessler

Sonntag, 20 Uhr, Tanzhalle

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