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Das Glück liegt im Dunkeln

Unter ärmlichsten Bedingungen suchen Goldgräber in Venezuela nach geldschweren Adern. Ein gefährliches Geschäft

von ANNECKE WARDENBACH

„Ich habe dir Gold mitgebracht!“ José wischt sich den Schweiß von den rauhen Händen und streckt seiner Freundin ein Nugget hin. Weil er nichts anderes hat, verschenkt er Goldstücke. José ist arm, er hat in seinem Leben selten mehr besessen als das, was er auf dem Leibe trägt – und das sieht heute auch nicht besonders gut aus. Rotbrauner Staub hängt in der abgewetzten Jeans, das löcherige T-Shirt bedeckt seinen sonnenverbrannten Oberkörper nur notdürftig. Gerade ist er von den Hügeln nahe des Dorfes zurückgekommen. Dort gräbt er im Wald, zusammen mit ein paar hundert anderen Männern und Frauen, nach Gold.

In der Gegend von El Callao im Südosten Venezuelas, nicht weit vom Orinoco, wird seit fast hundertfünfzig Jahren Gold abgebaut. Noch heute finden sich in den Bächen Goldwäscher, die, bis zum Bauch im Wasser stehend, mit hölzernen Schüsseln Goldpartikel aus dem Schlamm waschen. Andere versuchen es im Wald, wo die Erde oft bis nah an die Oberfläche von Quarzadern durchzogen ist, in denen das begehrte Edelmetall steckt.

Das Gold aus El Callao ist berühmt in Venezuela. Viele Touristen kaufen den filigranen Goldschmuck auf dem Weg zu der eindrucksvollen Landschaft der Gran Savana in den Goldarbeiterdörfern Guasipati, El Callao und El Dorado. Die große Savanne und der wundervolle Nationalpark Canaima sind mit ihren Tafelbergen und dem höchsten Wasserfall der Welt weltweit ein touristischer Anziehungspunkt.

„Es reicht doch schon, ein bisschen zu graben, ein paar Gramm sind fast immer drin“, sagt José. Wer heute nichts findet und mit leeren Händen zu seiner Familie heimkehrt, stößt morgen vielleicht auf ein paar Kilo Gold. Alles schon dagewesen, und deshalb kommen aus allen Ecken des Landes immer neue Glücksritter, Habenichtse, aber auch Taugenichtse, die ihr Kerbholz in dieser abgelegenen Gegend vor den kritischen Blicken der Polizei verstecken. Sie lernen von den alteingesessenen Goldgräbern, die sich stolz Bergleute nennen, die rudimentären Techniken. Alle zusammen sind Mineros, Kumpel, die man auf der Straße schon von weitem an ihrer rotstaubigen Arbeitskleidung erkennt – der Mythos Gold ist hier alles andere als glänzend.

Jeden Morgen schwingt sich José auf die Ladefläche des Pick-ups und zwängt sich zwischen seine Kollegen. Nach ein paar Minuten auf der Landstraße biegt der Wagen plötzlich ab und verliert sich im Busch. Die Piste ist extrem holprig, José duckt sich und weicht einem Zweig aus, der hart über den Wagen flitscht. „Das Gelände gehört eigentlich einer multinationalen Firma, aber sie geben uns keine Arbeit, also nehmen wir sie uns“, erzählt er. Zustimmendes Gemurmel, Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat in populistischen Fernsehreden die Landbesetzer in ihrer Sache ermutigt.

Nur wenige Unternehmen bauen das Gold systematisch ab. Die größte Firma ist die staatliche CVG Minerven, die mit professionellem Gerät in knapp fünfhundert Meter Tiefe und in einer zweiten Grube im Tagebau das Erz gewinnt. Etwa achthundert Menschen finden hier Arbeit. Nicht genug für eine Gemeinde, in der die 30.000 Einwohner entweder von der kargen Landwirtschaft oder als Schmiede, Transporteure oder Händler vom Goldabbau leben. So versuchen es viele auf eigene Faust.

Jose klettert aus dem Wagen und bahnt sich seinen Weg durch das Lager. Zwischen den Bäumen hängen Plastikplanen, Hängematten und der Geruch von gekochten Bohnen. Vor ihm tut sich die Erde auf. Über dem kanaldeckelgroßen Schlund wickelt sich ein Seil um einen Balken. José klemmt sich das verknotete Ende zwischen die Beine, sein Kumpel Mario seilt ihn per Hand gut fünfunddreißig Meter ab. Das ständige Sirren der Zikaden verschwindet, unten angekommen emfängt ihn eine dumpfe Dunkelheit. Er klemmt sich eine Taschenlampe zwischen die Zähne und kriecht auf allen vieren in einen schmalen Gang, der gerade groß genug ist, um sich darin umzudrehen. Hier sind sie auf eine wenige Zentimeter starke Quarz-Gold-Ader gestoßen, der sie jetzt folgen.

Mit einer spitzen Eisenstange schlägt José die Brocken aus dem Berg, packt sie mit den Händen in einen Eimer, den er zum Schacht schleift. Mario zieht ihn hoch und leert ihn aus. Alle vier Stunden wechseln sie sich ab. Einer hält Nachtwache, damit „Piraten“ nicht heimlich an die gefundene Goldader gehen. Wie viele Schächte José und Mario schon ganz umsonst angelegt haben, weil sie auch in vierzig Metern Tiefe nichts fanden, zählen sie schon lange nicht mehr. Manche Mineros benutzen Sprengstoff, um schneller voranzukommen, aber das ist gefährlich und illegal. Wen die Nationalgarde damit erwischt, nimmt sie mit Hinweis auf das Terroristengesetz fest.

Die Gänge stürzen mangels Verschalung oft schon von alleine ein. Wenn Mineros ohne Schulung und Sicherung in ihren Löchern sprengen, geschieht leicht Schlimmeres. „Dauernd bringen sie uns Männer mit Brüchen und Quetschungen“, berichtet José Villalobos, der Direktor des einzigen Krankenhauses in der gesamten Region. „Neulich erst ist einer erstickt, weil ihm ein riesiger Felsbrocken auf die Brust fiel. Sie haben ihn erst am nächsten Tag gefunden, weil er alleine in seiner Grube war.“

Aber der Arzt hat noch eine andere Sorge: Quecksilber. Der Dampf und der dauernde Kontakt mit dem Element, das zum Trennen des Goldes vom Gestein verwendet wird, vergiftet Umwelt und Menschen. Fehlgeburten, Zahnausfall, Gehirnschäden und Hautkrankheiten sind nur einige der Folgen.

In der Grube sortiert José sorgsam die goldhaltigen Quarzbrocken aus und steckt sie in einen alten Zuckersack. Er bezahlt einen Jeepfahrer, der ihn aus dem Wald zu einer Mühle im Dorf bringt. José vertraut der alten Rosario, ihr gehören die Maschinen, die die Felsbrocken erst zu Schotter und dann zu Sand mahlen. Zwischen den Mangobäumen dringt das Dröhnen der Mühle aus dem hintersten Winkel des Hofes bis zu ihrem kleinen Wohnhaus hinüber. Rosario bezahlt den Strom und die Müller, dafür bekommt sie zehn Prozent des Goldes, das ihre Mühle abwirft.

Die Technik ist einfach: Der gemahlene Goldstaub läuft mit Wasser über eine mit Quecksilber bestrichene Kupferplatte. Die Goldpartikel bilden mit dem Schwermetall ein Amalgam, das abgekratzt wird. Mit dem Schweissbrenner verdampfen die Arbeiter dann das hochgiftige Quecksilber. Übrig bleibt poröses Rohgold.

José wickelt ein kleines Klümpchen in Zeitungspapier. Heute war nicht viel drin, gerade mal fünf Gramm Rohgold steckt er in seine Tasche, um es später für etwa fünfundzwanzig Euro dem Schmied zu verkaufen „Aber Santos, der hatte damals Glück“, erzählt er wie schon so oft am Abend seiner Freundin. „Seine Gruppe ist auf eine reiche Ader gestoßen und hat in der Mühle über drei Kilo Rohgold rausbekommen. Der macht sich mit seinem Anteil von 5.000 Dollar bestimmt immer noch einen lauen Lenz!“, sagt er. Voller Hoffnung schaut er auf das winzige Goldnugget, das er soeben verschenkt hat.

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