piwik no script img

Heimatprojektion

■ Zwei Arten von Rückeroberung des öffentlichen Raums: Brandwand-Bilder in Ottensen und nun auch in der Lenzsiedlung

Auf den ersten Blick kann man sie für Werbung halten, die Projekti-onen, die abends auf einer kahlen Hauswand am Alma-Wartenberg-Platz mitten in Ottensen erscheinen. Wie bei den Infoscreen-Tafeln in den U-Bahnstationen wechseln die großformatigen bunten Bilder in rascher Folge: Eine Afghanistan-Karte, die mit McDonald's-Logos verziert ist, Joschka Fischer in einer Fotomontage, fliegende Bomben mit dem Untertitel „Ich war eine Dose“.

Den neugierigen BeobachterInnen wird schnell klar, dass hier nicht zum Konsumieren angeregt wird. Der Projektmacher Jürgen Schiedek benutzt gerne die Stilmittel von Werbung: „Aber eben ohne den Hintergrund der Kaufanimation, sondern um Aussagen oder einfach Fragen in den öffentlichen Raum zu stellen.“ Claravista, das Label unter dem das Bilderprojekt läuft, versteht sich in erster Linie als Kunst, wenn auch mit politischer Ambition. Manche Bildsequenzen wirken wiederum eher verspielt und uneindeutig. Schiedek möchte die ZuschauerInnen zum Nachdenken, zu eigenen Assoziationen, aber auch zum Lachen anregen.

Begonnen hatte er im Herbst 1999 mit Diaprojektionen in Berlin-Kreuzberg, damals noch zusammen mit zwei Freunden. Seit er nach Hamburg übergesiedelt ist, entwickelt er die Mini-Filme, welche die Dias weitgehend abgelöst haben, allein. Um das Selbstverständnis von Claravista auszudrücken, hat Schiedek die Bezeichnung „Gesellschaft zur Rückeroberung des öffentlichen Raums“ gewählt.

Dieses Konzept möchte er auch außerhalb von Szenevierteln ausprobieren. Ein Anfang ist das Projekt, das er eben in der Lenzsiedlung startet. Inmitten der Hochhausblocks sollen auf einer freien Wand ab kommenden Sonntag Projektionen zu sehen sein, die sich allerdings stark von den bisherigen unterscheiden. Die AnwohnerInnen, sind aufgefordert, sich mit eigenen Bildern an der temporären Aneignung öffentlicher Flächen zu beteiligen. SozialarbeiterInnen, die in der Lenzsiedlung aktiv sind, haben die Leuteüber Plakate und persönlich angesprochen, aber auch Schiedek selbst wirbt mit abendlichen Diaprojektionen für das Mitmachen.

Das Motto dieses an sich interessanten Konzepts ist etwas fragwürdig: In acht Sprachen werden die BewohnerInnen aus circa 26 Nationen um ihre „Heimat-Bilder“ gebeten. Tatsächlich ist damit ein uneingeschränkt positiver Bezug auf Heimat gemeint. Früher hatte er auch Probleme mit dem Begriff, räumt Schiedek ein. Aber mittlerweile sieht er das offener: „Es geht um Orte, an die Menschen schöne Erinnerungen haben.“ Das könnten Bilder aus Kurdistan oder vom Balkon in der Lenzsiedlung sein. Er sei völlig offen und sehr gespannt, was von den Leuten kommt.

Dass er damit Heimat als Idylle festschreibt, stört ihn nicht. Weitaus unproblematischer wird Offenheit bei dem Ottensener Projekt sein. Schiedek, der fast jede Woche ein neues Filmchen in die laufende Projektion einspeist, möchte ab jetzt anderen Gruppen die Möglichkeit geben, sich an dem Projekt zu beteiligen. Ariane Dandorfer

Do–Sa, Alma-Wartenberg-Platz und täglich vom 27.01.–07.02., Lenzsiedlung, jeweils nach Einbruch der Dunkelheit; Kontakt über www.claravista.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen