ORB-Chef in der Stasi-Kartei

Hagen Boßdorf, Ex-tazler, will aber nicht für den DDR-Geheimdienst gearbeitet haben

BERLIN taz ■ Der Chefredakteur des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg (ORB), Hagen Boßdorf, ist vom Staatssicherheitsdienst der DDR in einer Kartei als „Inoffizieller Mitarbeiter“ (IM) geführt worden. Die Sprecherin der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Cornelia Bull, bestätigte gestern gegenüber der taz einen entsprechenden Bericht der Bild-Zeitung.

In dem Zeitungsbericht wies Boßdorf den Vorwurf zurück, er habe als IM für die Stasi gearbeitet. Der 36-jährige ehemalige Sportreporter ist seit gut einem Jahr ORB-Chefredakteur. Er soll ab April Sportkoordinator aller ARD-Sender werden und nach München wechseln.

Wie Bull weiter erklärte, geht aus einer Karteikarte der früheren Bezirksverwaltung der Stasi in Leipzig hervor, dass Boßdorf vom 24. November 1988 an unter dem Decknamen „Florian Werfer“ als IM geführt wurde. Er sei in der Abteilung XV der Bezirksverwaltung Leipzig erfasst gewesen. Diese Abteilung war dem Auslandsspionagedienst HVA von Markus Wolf unterstellt. Ein weiterer Hinweis auf eine mögliche Stasi-Mitarbeit findet sich nach Bulls Angaben auch in der HVA-Computerdatei „Sira“ (System der Informationsrecherche der Aufklärung), die erst vor zwei Jahren entschlüsselt werden konnte.

Ob und wie Hagen Boßdorf der Stasi zugearbeitet hat, lässt sich anhand der jetzt gefundenen Hinweise nicht klären. Dass in dem Fundus der früheren Stasi-Bezirksverwaltung überhaupt eine Kerblochkarteikarte mit dem IM-Hinweis auf „Florian Werfer“ gefunden wurde, ist ein später Erfolg der Leipziger Bürgerrechtsbewegung. Sie konnte – anders als im Rest der DDR geschehen – verhindern, dass die Auslandsspionage-Unterlagen vernichtet wurden. Die jetzt gefundenen Papiere tragen auch Hinweise auf eine bislang verschollene Arbeitsakte zu IM „Florian Werfer“. Arbeitsakten wurden angelegt, um Verlauf und Inhalt der Zusammenarbeit mit einem IM zu dokumentieren.

Boßdorf hatte in der Vergangenheit eingeräumt, sich als Jugendlicher für drei Jahre für das Wachregiment der Staatssicherheit „Feliks Dzierzynski“ verpflichtet zu haben. Von 1986 bis 1989 studierte er an der Leipziger Universität Journalistik. Nach dem Studium arbeitete er erst für die ostdeutsche Ausgabe der taz, anschließend ein Jahr lang für den Sportteil in der Berliner Redaktion. Ende 1991, die taz strich damals krisenbedingt etliche Stellen auch in der Redaktion, wechselte Boßdorf als Sportchef zum ORB.

Der ORB erklärte, er werde zu Boßdorf am Montag bei der Gauck-Behörde schriftlich Akteneinsicht beantragen. Nach bisherigen routinemäßigen Anfragen bei der Behörde habe es keine Hinweise auf eine IM-Tätigkeit gegeben. Johannes Unger, der am 1. Februar die Nachfolge von Boßdorf antreten sollte, übernimmt auf Grund der Vorwürfe nach Angaben des ORB schon heute intern den neuen Posten. ORB-Pressesprecherin Pia Stein betonte, dies sei keine vorzeitige Amtsenthebung Boßdorfs. WOLFGANG GAST