Nach Hause! Die Hilfe ist weit weg

Im zerstörten Goma verhindern Sturheit und Kompetenzgerangel von Hilfsorganisationen die Versorgung der gebliebenen und zurückkehrenden Einwohner

von DOMINIC JOHNSON

Für die Helfer scheint die Sache klar zu sein: Goma, die von Lava verwüstete kongolesische Grenzstadt, ist auf absehbare Zeit unbewohnbar. Die hunderttausenden, die seit Donnerstag nach Ruanda flohen, sollen daher brav den Regeln der Flüchtlingshilfe folgen. Für die Flüchtlinge selbst ist die Sache überhaupt nicht klar: Goma ist zwar verwüstet, aber sie wollen zurück – nach dem Rechten sehen und versuchen, das eigene Leben wiederaufzubauen, anstatt in der Fremde als Wohlfahrtsempfänger zu leben. Der Vulkan scheint sich beruhigt zu haben, die Lavaströme, die rund ein Drittel der Stadt bedecken, sind abgekühlt. Nach Augenzeugenberichten sind allein gestern wieder 30. 000 Menschen zurückgekommen. Sie geben ihre Stadt nicht auf.

Ihre Lage und die der rund 220.000 Menschen aus Goma, die in der und um die wenige Kilometer entfernte ruandische Grenzstadt Gisenyi kampieren, ist viel schlimmer als nötig. Am Wochenende waren sie noch immer nicht mit Nahrungsmitteln versorgt. Denn die internationalen Hilfswerke begannen seelenruhig, eine gigantische Infrastruktur andernorts aufzubauen. 26 Lager für jeweils 25.000 Flüchtlinge will Ruandas Regierung in den nächsten Tagen errichten, verstreut über den Nordwesten des Landes. Die Lager entstehen zumeist auf dem Gelände früherer Transitlager für aus dem Kongo zurückkehrende ruandische Flüchtlinge. Dort sollen die Menschen von internationalen Hilfsorganisationen unter Leitung des UN-Welternährungsprogramms WFP versorgt werden.

Die beiden ersten dieser Lager liegen 30 Kilometer von Gisenyi entfernt. Weitere Lager sollen noch weiter weg aufgebaut werden, in einer Gegend, in der es ohnehin zahlreiche notdürftige Siedlungen ruandischer Kriegsvertriebener gibt. Um die Leute in die Lager zu locken, werden alle drei Kilometer entlang der Straße aus Gisenyi ins Innere Ruandas UN-Imbissbuden mit Wasser und Kalorienkeksen errichtet. Das ruandische Rote Kreuz schickt Vertreter mit Lautsprechern durch Gisenyi und ruft die Kongolesen aus Goma auf, sich in die Lager zu begeben, wo sie „alles Nötige finden“ würden. Nur denken die Kongolesen gar nicht daran. Sie bleiben in Gisenyis Straßen und Gärten, möglichst nahe bei Goma.

Es wäre logisch, dass die Hilfswerke zu den Flüchtlingen gehen und die Leute direkt in Gisenyi versorgen. Das aber tun sie nicht. Eine erste Hilfslieferung, die das WFP stolz am Samstag meldete, bestand nach dem Bericht eines schockierten Augenzeugen darin, dass aus Autos Kekse auf die Straße geworfen wurden. Viele Leute haben seit Donnerstagabend keine Mahlzeit mehr gehabt.

„Alle sagen das Gleiche: Wir kriegen nichts zu essen, und keiner kümmert sich um uns“, berichtet Christiane Kayser, Beraterin des Entwicklungsdienstes der deutschen Evangelischen Kirche (EED), die in ihrem Domizil in Gisenyi mehrere Familien aufgenommen hat. Das Verhalten des WFP und der anderen großen Hilfswerke der UNO beschreibt sie so: „Sie sitzen in der Hauptstadt Kigali. Sie kommen im Auto, sind mittags da und fahren nach zwei Stunden wieder zurück. Sie sind nicht bereit, mit den lokalen Gruppen zu diskutieren, und ziehen ihren Stiefel durch.“ Lokale Nichtregierungsorganisationen, die ziemlich komplett aus Goma nach Gisenyi gezogen sind, haben ein „Krisenkomitee Nyiragongo 2002“ ins Leben gerufen, um Selbsthilfe zu organisieren. Aber nach Angaben seiner Leiter wird das Komitee von den UN-Organisationen nicht als Partner anerkannt. Tägliche Treffen deswegen enden ergebnislos. Das trägt zur schlechten Stimmung bei.

Die Unbeugsamkeit der großen Hilfswerke hängt auch mit der Haltung der Regierung Ruandas zusammen. „Die Leute müssen das Prinzip akzeptieren, in den vorgesehenen Orten installiert zu werden“, sagt der Innenminister. Ruanda hat unter anderem Angst, dass sich unter die Flüchtlinge ruandische Hutu-Kämpfer oder ruandafeindliche kongolesische Milizionäre mischen, und will daher strikte Kontrolle bewahren.

Dieses Problem ließe sich umgehen, wenn die Hilfe für die 250.000 Kongolesen in Gisenyi nicht allein von Kigali aus geleitet würde, sondern aus Goma selbst, wo zahlreiche internationale Hilfsorganisationen Büros unterhalten. Doch auch die, deren Büros nicht zerstört sind, haben ihre Mitarbeiter fast alle abgezogen.

Als Einzige, die vor Ort geblieben sind und pragmatisch Hilfe leisten, werden von Betroffenen die Deutsche Welthungerhilfe und das Komitee Cap Anamur genannt. Aber ihre Mittel sind sehr beschränkt. Hilfe direkt nach Goma zu bringen ist derzeit unmöglich, weil Lava den Flughafen unbenutzbar gemacht hat und die UN-Mission, die dort eine Blauhelmbasis unterhält, untätig bleibt (siehe Interview).

Aber mit jedem Tag wird es dringender, Hilfe nach Goma zu liefern. Denn es sind nicht nur 250.000 Menschen aus Goma nach Ruanda geflohen – weitere 250.000 Bewohner der Stadt und ihres Umlandes sind im Kongo geblieben. 150.000 Bewohner Gomas sind nach Angaben der dort regierenden Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie) noch in der Stadt; 100.000 flohen tiefer in den Kongo hinein. Manche überquerten auch auf der Fähre den Kivusee, an dessen Südende 300 Kilometer von Goma entfernt die nahezu eine halbe Million Einwohner zählende Stadt Bukavu liegt. Für die im Kongo verbliebene Hälfte der Bevölkerung Gomas gibt es nicht einmal die Aussicht auf straff geführte Flüchtlingslager.

Was unter diesen Umständen die Versprechungen aus Deutschland und anderswo von Hilfe in Millionenhöhe bedeuten, ist nicht klar. Deutschland, Belgien und Großbritannien haben insgesamt etwa fünf Millionen Euro an Hilfe zugesagt. Aber wenn damit nicht Goma so schnell wie möglich von Lava geräumt und mit Lebensmitteln und Trinkwasser beliefert wird, sondern stattdessen Flüchtlingslager in Ruanda entstehen, ist solche Hilfe wenig hilfreich.