So einfach, so wahr

■ „Herzgewitter“ – Reinhard-Mey-Liederabend im Thalia Gaußstraße

Alles, was ich über Reinhard Mey weiß, weiß ich von meiner Mutter. Mit seinen Schallplatten in ihrem Regal bin ich aufgewachsen. Und noch heute lasse ich mich von meinen Eltern zu den Konzerten einladen. Beim Reinhard-Mey-Liederabend „Herzgewitter“ von Rainer Piwek ergibt sich ein solches Bild: Die Besucher kommen in Paaren ins Thalia Gaußstraße; Frauen mit ihren Ehegatten oder besten Freundinnen, und einige, wenige, mit den – erwachsenen – Kindern.

Rainer Piwek springt auf die Bühne, lässt die Konzertgitarre im Feedbackgewitter aufheulen wie Neil Young und beginnt mit dem „Herbstgewitter über Dächern“.

Die Auswahl der Songs konzentriert sich einerseits auf die sehr alten Lieder von Reinhard Mey (erste Platte 1968), andererseits auf die neuen. Natürlich sind Klassiker dabei, Familien-, Freundschafts-, Berufsgruppen- und Geschichtenerzähllieder (nur leider keins der schönen Liebeslieder). Piwek begleitet sich meist selbst auf der Gitarre – nur gelegentlich springt sein Komplize Dr. Danilo Kardel an Klavier oder Akkordeon ein.

Das Publikum kennt das Repertoire und wartet auf die besten Zeilen. Mitklatschen und -singen verbieten sich von selbst. „Über den Wolken“ singt Piwek spuckend an Kardels Klavier gelehnt, als würde Herbert Grönemeyer „Jenseits von Eden“ zum besten geben. Für „Gute Nacht, Freunde“ inszenieren Piwak und Kardel ein leichtfüßiges Puppenspiel. Und die pastoral-orchestrale Kontrabass- und Akkordeon-Interpretation der Tierschutzballade „Erbarmen“ erinnert – noch einmal Neil Young – an „Like a Hurricane“ (unplugged).

Das Duo kramt in den Notenblättern und gibt zusammenhangslose Erklärungen ab: liebevolle Anspielung auf Reinhard Mey selbst, der auf der Bühne auch gerne mal die eine oder andere Geschichte zwitschert, im allgemeinen aber wesentlich organisierter ist – und seine Texte auswendig kennt.

In den Händen von Rainer Piwek sind die Mey-Songs inbrünstiger, intensiver und vor allem deutlich weniger süßlich als die Originale. Er würdigt – manchmal bewusst übertrieben, manchmal subtil – deren Urheber und kitzelt auch aus den ernstesten Texten noch die Komik der Worte hervor („Gib mir Musik!“).

Mit den schnellsilbigen Holterdiepolter-Texten wie „Ich bin Klempner von Beruf“, bei denen sich der deutsche Rap eine Scheibe abschneiden kann (wär ja mal eine Idee: ein HipHop-Tribute an Reinhard Mey!), demonstrieren Piwak und Dr. Kardel, wie es auch den besten Sänger aus der (Text-)Spur werfen kann; Piwek: „Mein lieber Mann!“

Reinhard Mey findet Worte für Gedanken, für die sonst niemand überhaupt welche suchen würde. Und das auch noch mehrstrophig und mit Refrain. „Der ist immer gut“, habe ich von meiner Mutter gelernt, und dass in den Texten auf einfache Weise soviel Wahres steckt. „Hier“, sagt ein Freund von mir, Tiermediziner, der nachts im Auto gerne Reinhard Mey hört, und stellt die Musik lauter: „Hör mal, das ist eine tolle Zeile.“

Christian T. Schön

nächste Vorstellung:  27. Februar, 20 Uhr, Thalia Gaußstraße