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Fans aus Owschlag, Jagel & Jevenstedt

■ Werder schlägt Eindhoven im schleswig-holsteinischen Kropp. Hier ist Willi Lemke Patenonkel und die Zuschauer meinen, dass Bremen besser als Holland ist. Außerdem war der Ausflug in die Provinz eine prima Vorbereitung für die Bundesliga-Rückrunde

Schon etwas beschickert steht Wolfgang Weise am Bierpilz. Hier hat er Schutz vor dem Dauerregen und kann trotzdem sehen, was sich ein paar Meter weiter auf dem Spielfeld tut. Wolfgang Weise ist Mitglied des Kropper Handels- und Gewerbevereins, Kropp ist ein Dorf mitten in Schleswig-Holstein, genau zwischen Schleswig und Rendsburg.

57 Kunststoffochsen haben die Männer und Frauen vom Gewerbeverein ins Stadion geschleppt. Der Ochse ist das Wahrzeichen der am historischen Heerweg gelegenen Gemeinde.

Jeden Sommer organisiert der Verein die Kropper Mondscheinnacht. Ab 21 Uhr bedienen die Einzelhändler ihre Kunden dann in Pyjama und Nachthemd. „Kropp ist bekannt dafür, dass hier alles ein bisschen anders läuft“, sagt Wolfgang Weise. Und das zeigt sich auch in Sachen Fußball.

Wo sich sonst TSV Kropp und TSV Büdelsdorf spannende Lokalderbys liefern, spielten am Wochenende keine geringeren Mannschaften als der SV Werder Bremen und der holländische Meister PSV Eindhoven um den Holsten-Cup. Im für den Fußball sonst so unbedeutenden Schleswig-Holstein haben sich die Kropper einen Namen gemacht.

Und so fand am Sonntag bereits das 20. Spiel mit Bundesliga-Beteiligung in der Provinzgemeinde statt. Jürgen Muhl, Chef der Lokalzeitung und Organisator des Spitzensport-Events, pflegt seit zwölf Jahren Kontakte zum SV Werder. „Willi Lemke ist der Patenonkel von meinem Sohn Felix“, antwortet er, gefragt, wie man Bode und Ailton so erfolgreich aufs Land lockt.

3500 Besucher im Kropper Stadion, Jürgen Muhl ist zufrieden. „Wir holen auch noch die Bayern nach Kropp“, sagt er und verschwindet mit seinem Glas wieder an den Tisch von Werder-Trainer Thomas Schaaf. Es sind auch Bremer hier. Das verraten zumindest die Nummernschilder auf der spontan zum Parkplatz umfunktionierten Viehweide.

Im Stadion sind die Hanseaten aber nicht auszumachen. Die Fans hier kommen aus Owschlag, Jagel und Jevenstedt, allesamt nicht im Diercke-Atlas vertreten. Früh schon haben die Jungs von der Rendsburger Südkurve ihre Plätze eingenommen. „102 Prozent Anti-Leverkusen“, heißt es auf ihrem Transparent. Wenn das nicht fast zwei Prozent zuviel sind.

Einen der Bierpilze umringen so rund zehn bis zwölf alte Männer mit Elbseglern auf ihren schütteren Köpfen. Werder ist ihnen egal. Sie sind hier, weil endlich mal was los ist.

Auch der HSV-Fanclub „Sturmflut“ ist mit von der Partie. Jegliche Rivalität ist vergessen. Hauptsache norddeutsch, Hauptsache Fußball, Hauptsache ein Platz am Tresen.

Die 3.000 vor allem jungen Männer fiebern dem Spiel entgegen. Die vielleicht 500 Mädchen stehen zumeist etwas abseits am Rande. In kleinen Grüppchen schicken sie sich gegenseitig Kurzmitteilungen aufs Handy. Sie sind nur ihren Freunden zuliebe hier - oder wegen denen, die es vielleicht einmal werden sollen.

Die D-Jugend des TSV Kropp darf gemeinsam mit den Spielern auf den Platz laufen. Sie sind zwar fast durch die Bank Dortmund-Fans, wie sie später bei Cola und Currywurst zugeben. Aber: „Bremen ist immer noch viel besser als Holland“, findet einer der Elfjährigen.

Die Spielbedingungen sind ziemlich ungünstig. Wegen des Dauerregens hat sich das Feld inzwischen in einen Sturzacker verwandelt. Viele der Zuschauer haben sich bereits ins Sportlerheim verzogen. Da läuft die Live-Übertragung im Fernsehen. Auch nicht schlecht.

Doch Werder kennt sich aus mit nassem Rasen. Eindhoven nicht. „Kein Wunder, wenn man im Gewächshaus trainiert“, meint ein Fan und bringt damit einen der geistreichsten Sprüche dieses Fußballnachmittags.

Nach einem Foul an Werders Tim Borowski gibt der Unparteiische einen Freistoß. Lisztes auf Baumann, der das 1:0 für die Grün-weißen ins Holländer-Tor köpft. Bremen führt ab der zwölften Minute und bleibt auch für den Rest des Spiels die überlegene Mannschaft.

Vier Minuten später: die zweite große Chance. Diesmal Ailton. Im Alleingang läuft er auf PSV-Keeper Ronald Waterreus zu, endet aber an der Bande. Jetzt werden die Holländer plötzlich doch munter. Gleich mehrere große Torchancen verurteilt Werder-Torwart Frank Rost zum Scheitern. Ohne Zweifel ist er einer der stärksten Spieler des Matches.

Mit 1:0 geht es in die Halbzeit. Der extra aus Mallorca eingeflogene Entertainer Mickie Krause singt vor den inzwischen bestgelaunten Fußballfans. Seine Stücke: „Zehn nackte Frisösinnen“ und „Geh doch nach Hause, Du alte Scheiße“. Textsichere outen sich durch Mitsingen.

Das 2:0 für Werder erzielt Marco Bode in der 61. Minute. Endstand. In der 62. Minute räumen die wenigen holländischen Fans frustriert und schlaff den Platz. Der Fahrer möge ihnen den Bus aufschließen, quäkt es aus den Lautsprechern. Gefolgt von einer Werbedurchsage. „Musst Du unter Deiner Frau leiden, geh zu Krappes, lass Dich scheiden.“

Der Rendsburger Notar gehört zu den Sponsoren des Kropper Fußballvereins. Der Stadionsprecher hat viel zu tun. Jetzt wurde in einem Gebüsch der besoffene Florian aus Delmenhorst aufgefunden. „Wer Florian kennt, kommt bitte zum Ausgang.“

Werder hat verdient gewonnen. Wurde auch mal Zeit. Wollen schließlich Meister werden. Nach den bitteren Schlappen gegen Galatasaray Istanbul und Spartak Moskau und den Unentschieden gegen Sofia und Eintracht Frankfurt ist der Sieg auf Kropper Rasen gleich doppelt wichtig für das Team von Thomas Schaaf. Kropp macht fit: „Wir gehen gut vorbereitet in die zweite Runde“, sagt er.

In der gleichen Aufstellung wird Werder am nächsten Wochenende gegen Energie Cottbus spielen. So richtig glaubt Schaaf noch nicht daran, dass sein Team Meister wird. „Wenn wir den dritten Platz halten können, wäre das schon sensationell.“

Die Spieler sind zufrieden, genießen das Bad in der Masse und verteilen Autogramme. Ailton speichert die Nummern der PSV-Spieler auf seinem Handy.

Es war schließlich ein Freundschaftsspiel. Auf dem inzwischen menschenleeren Fußballplatz fährt ein Lastwagen vor. Die Männer und Frauen vom Gewerbeverein hieven die 57 Kunststoffochsen auf die Ladefläche. Ebbe Volquardsen

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