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Helden sind oft sehr einsam

Cameron Rudd malt Bilder von den Krawallen am 1. Mai in Kreuzberg. Seine Bilder liegen im Trend, der englische Künstler thematisiert Gewalt im öffentlichen Raum. Er selbst hat die Angst bewältigt

von WALTRAUD SCHWAB

Gerade mal 21 war Cameron Rudd, als er auf der Straße zusammengeschlagen wurde. Im englischen Warrington geschah das, die Stadt liegt zwischen Manchester und Liverpool. Drei Mal verlor er im Lauf der 15-minütigen Prügelei das Bewusstsein. Am Ende übel zugerichtet, flickten die Ärzte sein Gesicht mit 26 Stichen wieder zusammen. „Ich war zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort“, sagt er heute, sieben Jahre danach, „das ist lang her.“

Mit dieser Floskel will der Künstler die Erfahrungen von damals wegwischen. Vor ihm, in der Neuen Aktionsgalerie in der Auguststraße, hängt ein von ihm gemaltes, großformatiges Bild, das zwei Steinewerfer des 1. Mai in Kreuzberg zeigt. Ihr Weg ist von Wasserwerfern verstellt. Rudd war von einem Freund zum Oranienplatz geschleppt worden. „Die Krawalle sind Tradition“, erklärte man ihm, der gerade einen schweren Autounfall hinter sich hatte.

Die Opferrolle ist keinem auf den Leib geschrieben, schon gar nicht jemandem mit Idealen. Damals in Warrington hatte er kein Feigling sein wollen. Er war seinem Freund zu Hilfe geeilt, der zuerst angegriffen worden war. Eine Schlägerei aus dem Nichts. Rudd wollte helfen, aber Helden sind einsam in solchen Momenten. Das ficht ihn mittlerweile hart an.

Um die erniedrigende Erfahrung zu verarbeiten, um nicht jedes Mal beim Anblick einer Gruppe saufender Männer in Panik zu geraten, rückwärts zu gehen, die Seite zu wechseln und zu hoffen, unsichtbar zu sein. Rudd hat nach Wegen gesucht, sich die Straße wieder anzueignen. Die „Einschüchterung im öffentlichen Raum“ wurde sein Thema. „Intimidation on the streets“, sagt er immer wieder: das also, was sich abspielt, was niemand sehen möchte. Aber auch das, wo alle hinschauen und niemand etwas sieht. Es ist das ganz Alltägliche und das immer nur Scheinbare, das seither eine Faszination auf ihn ausübt. Die Krawalle in Kreuzberg sind dabei nur die letzte Station.

Der an der Byam Shaw School in London ausgebildete Künstler begann, das Leben auf der Straße, die für ihn kein neutraler Ort mehr ist, zu filmen: Gangs, die vor Discos herumlungern. Männer, die aus Bars heraustorkeln. Leute, die mit ihren Hunden an Ecken stehen. Obdachlose, die unter Bänken schlafen. Alte Menschen, die sich Treppen hinaufquälen. Jugendliche, die rauchend auf Plätzen ausharren, die leere Bierdosen gegen Wände kicken.

Videofilme im Stil der Aufnahmen von Überwachungskameras haben dem Künstler nicht ausgereicht. Er fing an, Standbilder seiner Filme in großem Format in Öl nachzumalen. Erst durch die Aneignung der Aneignung, die Abstraktion der Abstraktion und durch die Arbeitswut, mit der er sich daran machte, die Figuren auf den Bildern einzufangen, zu analysieren und gleichzeitig in ihrer vergrößerten Unschärfe wieder in der Umgebung verschwinden zu lassen, lernte er seine Angst zu überwinden. „Eine Katharsis“, wiederholt der eher einsilbige, scheue Mann. So ein Weg ist bitter. Süß dagegen war, dass er mit den Bildern „Young artist of the year 1995“ wurde.

Rudd will Beobachter sein, eine Distanz zwischen sich und das Geschehen legen. Was liegt in einer solchen Situation näher, als das Land zu wechseln? Tourist werden, einer, der etwas sieht, ohne genau zu wissen, was es bedeutet. Einer, der sich dem Fremden aussetzt und es an seinen eigenen Vorstellungen bricht. Einer, der die Dinge kontrollieren kann, solange er sie von außen sieht. Auf diese Weise ist Rudd vor zwei Jahren in Berlin hängen geblieben.

Die Oranienburger Straße hat es ihm angetan. Hier kann er den Augenblick festhalten, in dem Männer langsam in ihren Autos an den Prostituierten vorbeifahren, anhalten, sich zum Seitenfenster beugen, das Steuer mit der einen Hand festhalten und mit der anderen die Tür öffnen. Kleine Gesten, die das Klandestine offenbaren. Dies alles geschieht im Schatten der von Polizisten bewachten Synagoge. „Wenn du in einer Stadt lebst, behandelt du die anderen Leute wie Bäume. Für mehr ist gar keine Zeit“, sagt Rudd. Er aber hält das Flüchtige fest.

Später macht er seine Serie über die Ereignisse des 1. Mai. Eine Berliner Attraktion, die mittlerweile ins Tourismusprogramm aufgenommen ist. „Ich war ausschließlich als Voyeur dort“, sagt Rudd. Als Beobachtender verbindet ihn nichts mit der Kreuzberger Maifeiertagsgeschichte. Er hat keine nostalgische Wehmut, er sieht keine Anlässe für die Krawalle, außer jenen, die sich selbst legitimieren: Krawall um des Krawalls willen. Das Ganze: ein Happening.

Rudd hat keine Aufsehen erregenden Motive vom 1. Mai ausgewählt, die er in Öl vergrößerte: ein Kind auf dem Mariannenplatz, das vor den Mannschaftswagen der Polizei mit seinem Ball spielt. Ein Punkerpärchen im Park, eine Gruppe von Leuten, die noch ruhig zusammenstehen, obwohl die Unruhe bereits zu spüren ist. Nichts Spektakuläres, Verkaufbares, wie sich zeigt. Wie war es, wie könnte es gewesen sein? So werden Betrachter plötzlich zu Ermittlern. Es ist der Ist-Zustand, an dem der 28-Jährige angekommen ist.

Cameron Rudd, dessen Karma sich auf der Straße zu verwirklichen scheint, spielt in seiner Kunst mit dem Mythos, dass Videoüberwachung die Wirklichkeit einfangen könne und das Leben sicherer mache. England nimmt bei der ganzen Überwachungsmanie eine Vorreiterrolle ein. Allein in der Innenstadt von London wird Schätzungen zufolge jeder Passant täglich circa 500-mal von öffentlichen Kameras gefilmt. Einem 33-jährigen Engländer, der auch Cameron Rudd hieß und dessen Karma sich ebenso auf der Straße verwirklichte, hat es wenig genützt. Er war Taxifahrer und wurde im November 2000 überfallen und ermordet. „Wir sind verletzlich“, sagt sein Namensvetter, der Künstler.

Bis 27. 1. in der Aktionsgalerie, Auguststraße 20, Mitte

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