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: Wissenschaftsrat kritisiert Aus für Uniklinikum

Auch ein finanzieller Verlust

Die rot-rote Koalition will das Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) in Steglitz in ein normales Versorgungskrankenhaus umwandeln und die medizinische Fakultät der Freien Universität (FU) schließen. Der Vorsitzende des Medizinausschusses des Wissenschaftsrats, der Tübinger Medizinprofessor Dietrich Niethammer, hat diese Entscheidung auf dem Neujahrsempfang der Charité am Dienstag scharf kritisert. Wir dokumentieren seine Rede in Auszügen:

Es ist klar, dass die neue Regierung in Berlin bei der Finanzmisere des Landes die mögliche Kosteneinsparung zur Begründung der Schließung des Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) heranzieht. Der Wissenschaftsrat […] kann diesem Argument prinzipiell nicht widersprechen. Er gibt aber zu bedenken, dass dann die Frage beeantwortet werden sollte, ob die zu erwartenden Einsparungen, die durch eine Schließung erzielt werden, tatsächlich auch die damit verbundenen Einnahmeverluste übersteigen. Hieran hat der Wissenschaftsrat […] Zweifel.

Die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der FU-Fakultät kann eindeutig heute nicht mehr als Begründung zur Schließung herangezogen werden kann. […] Durch eine gezielte Berufungspolitik entwickelte sich die durch drastische Einschnitte verkleinerte medizinische Fakultät der FU zu einer im Bundesvergleich deutlich überdurchschnittlich leistungsfähigen Fakultät. Wie an der Charité warb auch jeder Professor am UKBF im Jahr 2000 über 310.000 Euro ein. Der Bundesvergleich liegt bei der Hälfte. […]

Verlust der Spitze

Die Hochschulmedizin ist insgesamt mit Abstand der leistungsfähigste wissenschaftliche Bereich in Berlin. Von den Gesamt-Drittmitteleinnahmen der Berliner Universitätsklinika in Höhe von rund 83 Millionen Euro für das Jahr 2001 hängen direkt mehr als 2.400 hochqualifizierte Arbeitsplätze und indirekt 4.500 Arbeitsplätze ab. Sie ist damit nicht nur Motor für innovative Unternehmensgründungen in unmittelbarer Nachbarschaft der Standorte, sondern darüber hinaus auch Katalysator für die gesamte biomedizinische Region Berlin-Brandenburg, die über 150 diesbezügliche Firmen aufzuweisen hat.[…]

Im letzten November hat die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) deutlich gemacht, dass die Drittmittelfähigkeit der Berliner Hochschulmedizin gefährdet ist. Ohne eine vom Land Berlin finanzierte ausreichende Grundausstattung in der Forschung werden die Drittmitteleinwerbungen drastisch zurückgehen. Damit droht die Hochschulmedizin in Berlin ihren in manchen Disziplinen inzwischen erreichten auch international hohen Stand zu verlieren. Die in anderen Disziplinen bereits eingetreten Einbußen […] machen z. B. die Berufungen von herausragenden und international anerkannten Wissenschaftlern zunehmend schwieriger. Von der VW-Stiftung war bereits zu vernehmen, dass sie […] eine zugesagte Spende für ein größeres Vorhaben nun doch nicht zu bewilligen bereit sei. Die Berliner Spitzenstellung in der medizinischen Forschung Deutschlands wird aufgrund der vom Senat geplanten Schwächung der Universitätsmedizin kaum noch lange zu halten sein. […]

Von den für die Sanierung für das UKBF noch im Sommer 2001 vorgesehenen 127 Millionen Euro wurden inzwischen schon 25 Millionen verbaut. Statt den in den Medien genannten 102 Millionen Euro, die theoretisch gespart werden könnten, bleiben aber nur 51 Millionen übrig, weil der Bund schließlich die andere Hälfte bezahlt hätte, die dem Land Berlin damit verloren gehen. Auch sei daran erinnert, dass nach der Gesetzeslage das Land den Bundesanteil der in Steglitz investierten Baukosten der Vergangenheit zumindest teilweise zurückzahlen muss, wenn Steglitz geschlossen würde. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung geht im Moment von 190 Millionen Euro aus.

Spareffekt: 51 Millionen

Für den Fall, dass die Medizinische Fakultät der FU abgewickelt werden sollte, würde der Verlust für die Wissenschaft weit über das Fach Medizin hinausreichen und die Natur- und Ingenieurwissenschaften ebenso wie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen wissenschaftlich schwächen. Dies sieht der Wissenschaftsrat mit großer Sorge. In der Biomedizin sind die außeruniversitären Forschungseinrichtungen auf leistungsfähige klinische Einrichtungen der Medizinischen Fakultäten angewiesen. […]

Gleichwohl ist unstrittig, dass bei der so dramatisch schlechten Haushaltslage das Land Prioritäten setzen muss. Die jedoch augenblicklich erhofften jährlichen Einsparungen in Höhe von rund 97 Millionen Euro durch den geplanten Wegfall der Zuschüsse für Forschung und Lehre für das UKBF werden durch die bestehenden rechtlichen Gegebenheiten (u. a. im Personalbereich), den Verlust der Glaubwürdigkeit der Berliner Politik und des internationalen Ansehens der Berliner Wissenschaft, dem Ausbleiben der damit möglichen Drittmittel und der folglich geschwächten wirtschaftlichen Entwicklungen nicht realisierbar sein. Vielmehr ist durch die ausbleibenden Steuereinnahmen eine nachhaltige Verschlechterung der ökonomischen und medizinischen Situation von Berlin-Brandenburg zu befürchten, die dann gemeinsam nur noch über eine Volluniversität verfügen würde. Schließlich sei noch erwähnt, dass das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ausgerechnet hat, dass dem regionalen Wirtschaftskreislauf mit der Schließung der FU-Medizin jährlich 190 Millionen Euro an Aufträgen, Investitionen und Gehältern entzogen würden.

[…] Das Gesagte macht deutlich, dass nach unserer Meinung der finanzielle Verlust die möglichen Einsparungen nicht nur zunichte macht, sondern diese wahrscheinlich deutlich übersteigt. So sieht der Wissenschaftsrat mit großer Sorge, dass der hervorragende Wissenschaftsstandort Berlin, wohl einer der besten Pluspunkte dieser Stadt, nachhaltig geschwächt wird, ohne dass das wesentlich zu den notwendigen Einsparungen beitragen wird. […] Der Wissenschaftsrat empfiehlt daher dem Land, eine Expertenkommission einzusetzen, die ein Konzept zur Erhaltung beider Fakultäten vor dem Hintergrund der Finanzprobleme erarbeiten soll, bei deren Berufung er gerne behilflich sein wird. […] DIETRICH NIETHAMMER