: Das Trauerspiel im ungarischen Fernsehen
Für die ungarische Presse werden die Parlamentswahlen zur Existenzfrage. Liberale und konservative Medien müssen um ihre Zukunft bangen
„Scheißmörder, Scheißkriminelle sind sie, verrottete Schweinetiere“, sagte Zsolt Bayer in einer Fernsehsendung über führende Politiker der Sozialistischen Partei in Ungarn.
Herr Bayer ist Vizepräsident des staatlichen Senders Duna TV und Busenfreund von László Kövér, Vizepräsident der regierenden Partei Fidesz. Entschuldigen wollte sich der Journalist nicht: Er habe noch unter der Betäubung von einer Operation gelitten. Eine Wochenzeitung merkte an: Herrn Bayer wurde wahrscheinlich das Gehirn entfernt.
Mit seiner Aussage hat Zsolt Bayer im letzten November den Wahlkampf eingeleitet. Seltsam nur, dass die ungarische Presse in vorderster Reihe mitkämpft. Die rechtspopulistische Regierung des Landes hat gleich nach der Vereidigung angekündigt, die traditionell liberale Presse Ungarns zu regulieren. Balance war von nun an das beliebteste Schlagwort. Die zwei konservativen Tageszeitungen wurden zwangsvereinigt und unter die finanzielle Abhängigkeit der Regierung gestellt. Seitdem is „Magyar Nemzet“ das Sprachrohr der Koalition. In diesem Blatt erschien auch die Studie über das Bild des Landes in der internationalen Presse. Damit wurden zum zweiten Mal kritische Journalisten aufgefordert, ihre Haltung gegenüber der Regierung drastisch zu verbessern. Der Ministerpräsident Viktor Orbán führt eine „schwarze Liste“ über ungarische Intellekuelle, die das Land in schlechtem Licht darstellen.
Seit 1998 läuft bei den staatlichen Sendern ein Trauerspiel: Das Mediengesetz schreibt vor, dass der TV-Rat sich aus Regierung und Opposition zusammensetzen soll. Vier Plätze hätten die drei Oppositionsparteien, einigen konnten sie sich aber noch nicht. Die antisemitische Partei Miép beansprucht zwei der Plätze. Die Gesetzgeber waren nicht auf den Fall vorbereitet, dass eine Regierung sowohl eine linke als auch eine Rechtsaußen-Opposition haben könnte. Für die Sozialisten und für die Liberalen kommt es nicht infrage, der fremdenfeindlichen Partei nachzugeben. Doch die Miép beharrt auf die Plätze und blockiert damit einen ausgeglichenen Senderrat.
Elf Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen schaut die Bevölkerung gleichgültig auf die Machenschaften der Regierung. Inzwischen hat das Land zwei Privatsender, die beide eher eine regierungskritische Linie führen. Der Bertelsmann-Sender RTL-Klub sendet zum Beispiel eine ungarische Variante von „Sieben Tage, Sieben Köpfe“, die die Regierung wöchentlich lächerlich macht, und zeigte eine Reportage über professionelle Attentäter, in der der Moderator einen angeblichen Killer fragte, was es koste, den Ministerpräsidenten Ungarns niederzustrecken.
Die Angst unter den Liberalen ist groß, dass die gewinnorientierten ausländischen Firmen, die einen Großteil der Presse im Land besitzen, im Wahlkampf dem Druck der konservativen Parteien nachgeben könnten. Mit viel Geschick und Taktik versucht die Regierung Ungarns, der kritischen Presse das Geld abzuschneiden. Für die Journalisten steht bei den Wahlen im April sehr viel auf dem Spiel. Die liberalen Zeitungen müssen um ihr Überleben bangen, für die konservative Presse ist wichtig, dass Orbán und Co. ihre Macht erhalten können. Denn die meisten konservativen Medien schreiben seit Jahren rote Zahlen. Die Regierung unterstützt sie für ihre Treue großzügig. Würde die Opposition gewinnen, könnten mehrere konservative Zeitungen Bankrott anmelden. Die Existenzfrage müssen sich beide Lager stellen, und so schreibt die ungarische Presse nicht mehr über den Wahlkampf. Stattdessen macht sie ihn selbst. GERGELY MÁRTON
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