: Verschleierte Hoffnungen
„Die schwarzen Tafeln“ der jungen Regisseurin Samira Makhmalbaf haben dem iranischen Film hierzulande Aufmerksamkeit beschert. Wenig bekannt sind hingegen die Werke ihrer älteren Kolleginnen und die Umstände, unter denen sie arbeiten
von FAHIMEH FARSAIE
Die Geschichte der Regisseurin Tahmineh Milani hört sich an wie das Exposé zu einem Drehbuch: Eine junge schwangere Regisseurin dreht einen fantasievollen Kinderfilm im Iran. Die Hauptrolle wird von einem achtjährigen Mädchen gespielt, das kein Kopftuch trägt. Trotz diverser Probleme mit den Zensurbehörden, die die Regisseurin bis zum Rande des Nervenzusammenbruchs treiben, gelingt es ihr endlich, den Film fertigzustellen. Mit sensationellem Erfolg läuft er einige Wochen auf den Leinwänden vieler Städte. Beglückt durch ihren großen Triumph, wagt die Regisseurin die strenge Filmpolitik der Zensurbehörden bei einem öffentlichen Staatsfest zu kritisieren.
Die Funktionäre hören sich die Kritik mit Pokerface an und schlagen erst ein paar Tage später zu: Unter dem Vorwand, das Mädchen in ihrem Film sei nach den islamischen Lehren volljährig und müsse Kopftuch tragen, erklären sie die Vertriebslizenz des Films für ungültig. Das bedeutet für die Regisseurin den finanziellen und künstlerischen Ruin. Mit der schriftlichen Erklärung eines hochrangigen Geistlichen, dass Mädchen unter neun Jahren generell keinen Schleier zu tragen brauchen, kann sie sich auch bei den Kontrollstellen kein Gehör verschaffen.
Ein ungleicher Kampf beginnt, bei dem die Regisseurin durch Stress, ständige Furcht vor Repressionsgruppen, die sie bedrohen, und ein unausgesprochenes Berufsverbot allmählich zu zerbrechen droht. Sie verliert ihr Baby im achten Monat und landet in einer Psychiatrie statt weiter hinter der Kamera zu arbeiten.
Das dramatische Skript zu einem Film? Nein, eine wahre Geschichte. Der Kinderfilm, den Tahmineh Milani 1995 drehte, heißt „Kakadu“. Doch mit dem Tod ihres Babys ist ihre Geschichte noch nicht beendet. Milani verlor zwar ein Baby, brachte aber ein zweites zur Welt, weil sie mit Zwillingen schwanger war. Aus Liebe zum überlebenden Baby schöpfte sie wieder Kraft und fing erneut an, Filme zu drehen, vor allem Frauenfilme.
„Frauenfilme müssen sich im Iran als ein Genre etablieren, damit die vergangenen Versäumnisse bezüglich der Frauenangelegenheiten nachgeholt werden“, sagt die 41-jährige Architektin, die aus Leidenschaft zum Kino ihren gut bezahlten Job bei einem Bauunternehmen aufgab.
Die vergangenen Versäumnisse nachzuholen, ist das Motto fast aller Filmemacherinnen, die ihr Handwerk erst nach der Revolution von 1979 erlernt haben. Rakhschaneh Bani Etemad, Samira Makhmalbaf („Die schwarze Tafel“), Marsieh Meschkini („Der Tag, an dem ich Frau wurde“), Pouran Derakhschandeh („Die uferlose Liebe“) und Yasmin Malek Nassr („Das gemeinsame Leid“) gehören zu den wichtigsten Filmemacherinnen Irans, deren Werke in den letzten Jahren auch auf den internationalen Filmfestivals gezeigt wurden.
Die beachtliche cineastische Präsenz der Frauen in einem Land, mit dem man sonst zurecht eher Frauen- und Menschenrechtsverletzungen assoziiert, geschieht nicht durch ein Wunder, sondern ist die logische Reaktion auf die fatale und frauenfeindliche Politik des Gottesstaates Iran. Die islamische Regierung hat in dieser Hinsicht Geister gerufen, derer sie nun nicht mehr Herr wird. Sie propagierte während und nach der Revolution, dass sich Frauen am politischen und gesellschaftlichen Leben beteiligen sollen; gegen Schah und Amerika, für die Unabhängigkeit, gegen Saddam, für den Aufbau des Landes.
Obwohl Frauen dieser Proklamation pflichtbewusst folgten (und sich dabei ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein aneigneten), erkannten ihnen die Hardliner alle unter dem Schahregime durch harten Kampf erworbenen Frauenrechte (wie etwa das Scheidungs- und das Sorgerecht) ab, teilten ihnen die „heiligen familiären Aufgaben“ zu und versuchten sie „wieder nach Hause zu schicken“. Genau gegen diese rigide und sittenwächterische Politik wehrten und wehren sich Frauen, insbesondere die intellektuellen. Daher kehrten sie 1997 dem milliardenschweren Expräsidenten Rafsandschani den Rücken, der mit seiner Öffnungspolitik in den Achtzigerjahren zwar den allgemeinen Lebensstandard der Iraner gehoben, an der Situation der Frauen aber nichts Wesentliches geändert hatte.
Die Frauen hatten gehofft, die Chance zu erhalten, ihre Persönlichkeit entfalten und ein halbwegs selbstbestimmtes Leben führen zu können. „Berechtigte Ansprüche“, kommentierte Präsident Chatami 1997 in einer Wahlkampfrede und gewann damit die meisten Stimmen der Frauen und gleichzeitig das Duell gegen die Hardliner in zwei aufeinander folgenden Legislaturperioden.
Von diesen berechtigten Ansprüchen handeln auch die Spielfilme der meisten iranischen Regisseurinnen. Seit dem Wahlsieg Chatamis ist es leichter geworden, diese Themen cineastisch zu bearbeiten. Denn seine Anhänger sitzen nun auf den Chefsesseln der Farabi-Stiftung. Die Gefahr, Opfer der unberechenbaren Repressalien seitens der Hardliner zu werden, besteht dennoch weiterhin.
Tahmine Milani hat es am eigenen Leib erlebt, als ihr letzter Film, „Die verborgene Hälfte“, aufgeführt wurde. Trotz der cineastischen Anerkennung auf den Filmfestivals von Los Angeles und Kairo (2001, für die beste Regie) wurde sie im Oktober 2001 verhaftet und verhört. Ihr wird die Zugehörigkeit zu einer „ketzerischen und subversiven Gruppe“ vorgeworfen, weil der Film die politischen Aktivitäten der oppositionellen Organisationen nach der Machtübernahme der islamischen Regierung thematisiert. Diese turbulente Phase, die von Terrorakten und massenhaften Verhaftungs- und Hinrichtungswellen gekennzeichnet war, blieb durch Zensur und Selbstzensur völlig aus dem literarischen und cineastischen Gedächtnis Irans ausgeblendet.
Tahmineh Milani war die erste Künstlerin, die dieses brisante Thema hochpoetisch, humanistisch und mit beeindruckenden Bildern bearbeitete. „Ich kann nur in Bildern denken“, sagt sie und erzählt von einem alten Kino neben ihrem Elternhaus, das praktisch ihr Kindergarten war. „Jeden Tag hat meine Mutter mich und meine Schwester mit einem Butterbrot dahin geschickt und abends wieder abgeholt.“ Den Einfluss dieser Kinowelt auf ihr Werk hat sie mit einem Hauch Ironie in ihrem Film „Was gibt’s Neues?“ aus dem Jahr 1992 bearbeitet, einer Satire über das Aufeinanderprallen von Modernität und Tradition.
Die Spuren ihrer eigenen Geschichte lassen sich auch bei ihren Filmfiguren wiederfinden. In „Die Kinder der Scheidung“ (1990) lässt sich die angehende Filmemacherin und in „Zwei Frauen“ (1998) die erfolgreiche Architektin wiedererkennen. Ihre sechs Filme verursachten Milani, neben der internationalen Anerkennung und dem Ärger mit den Zensurbehörden, auch einen Berg Schulden, den sie so schnell nicht wird begleichen können, so die Regisseurin.
Mit Schulden hat auch die 47-jährige Filmemacherin Rakhschaneh Bani Etemad, die bisher sieben Filme gedreht hat, zu tun. Nicht weil ihre Werke zu viel kosteten, sondern weil sie an der letzten Sichtungskommission scheiterten. Nur „Der Vorort“ (1987) und „Der gelbe Kanarienvogel“ (1989) durften unzensiert gezeigt werden. Ohne Begründung wurde die Vertriebsgenehmigung für „Die ausländische Währung“ (1989) nicht verlängert, nachdem er breits angelaufen war. Keine Lizenz wurde danach dem Film „Nargess“ (1993) erteilt – eine Geschichte über die Liebe zweier Frauen zu einem Einbrecher.
„Das blaue Kopftuch“ erlitt das gleiche Schicksal, obwohl es auf dem Filmfestival in Locarno (1995) ausgezeichnet wurde. Der Film erzählt von der Liebe eines älteren wohlhabenden Mannes zu einer seiner jungen Feldarbeiterinnen (Nobar), die mit ihrer finanziellen Misere zu kämpfen hat. Nobar willigt schließlich ein, heimlich seine Braut zu werden und genießt allmählich seine Zuneigung und Großzügigkeit. Ihr neu gefundenes Glück wird aber durch gesellschaftliche Konventionen bedroht.
Um „Das blaue Kopftuch“ auch im Iran zeigen zu können, sollte die Regisseurin zwei Szenen aus diesem spannenden und ungewöhnlich farbenfrohen Film herausschneiden. Eine der Szenen ist eine Nahaufnahme, in der die nackten Füße Nobars zu sehen sind, die rasch auf ihren Bräutigam zulaufen. Ein ausdrucksstarkes Bild als Symbol für ihr Heiratsritual. „Ich sehe nicht ein, diesen wichtigen Moment aus meinem Film herauszuschneiden“, sagte die Regisseurin, musste aber doch Kompromisse eingehen, um ihren nächsten Film drehen zu dürfen.
„The Mai-Lady“ (1997) ist die Geschichte einer Dokumentarfilmerin, die mit ihrer Mutterrolle in Konflikt gerät, als sie sich in einen Kollegen verliebt. Ihr junger, sonst unkonventioneller Sohn hindert sie unerbittlich daran, ihn zu heiraten. „Ich durfte die Liebesbeziehung zwischen diesen beiden nicht darstellen. Deshalb habe ich den Mann zensiert und nur seine Stimme hören lassen. Ihre Liebe zueinander spürt man trotzdem“, so Bani Etemad.
Der brillante sozialkritische Film „Unter der Haut der Stadt“ ist ihr jüngstes Werk, das im August 2001 auf dem internationalen Filmfestival in Moskau ausgezeichnet wurde. Mit eindrucksvollen Bildern, dichter Atmosphäre und spannendem Handlungsverlauf erzählt er die Geschichte einer Mutter (Tuba), die mit aller Kraft versucht, ihre an der finanziellen Not scheiternde Familie zusammenzuhalten.
„In meinen Filmen stelle ich nur einen Bruchteil der Probleme dar, die Frauen in unserer Gesellschaft haben“, betont Bani Etemad, die acht Jahre lang für das iranische Fernsehen Dokumentarfilme gedreht hat. „Ich behaupte dennoch nicht, die Anwältin der unterdrückten Frauen zu sein.“ Und doch fungiert sie mit ihren Filmen als deren Verteidigerin.
FAHIMEH FARSAIE lebt als freie Autorin in Köln. Vom 31. Januar bis zum 16. März veranstaltet die IFA-Galerie in Stuttgart eine Ausstellung mit Filmreihe zum neuen iranischen Film. Eingeladen ist auch Tahmineh Milani
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