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Lachnummer Verkehrspolitik

betr.: „Italiens Behörden ziehen Notbremse gegen Smog“, taz vom 23. 1. 02

Wie Recht hat Michael Braun mit seiner Aussage, dass die Verkehrspolitik jahrelang verfehlt wurde und definitv eine andere gefragt ist.

Es gab kürzlich eine Studie über die Mailänder Verkehrssituation, die ergab, dass nur zirka vier Prozent des Potenzials der öffentlichen Verkehrsmittel genutzt werden! Hier ergibt sich die Frage: Werden diese so wenig genutzt, weil sie nicht taugen oder taugen sie nicht, weil sie sowieso nicht genutzt werden?

Für mich steht fest: Für eine Metropole von Wirtschaft und Finanz dieser Größenordnung, dessen Anzahl an Menschen und Autos sich an Werktagen um das Drei- bis Vierfache erhöht, ist diese Verkehrspolitik ganz einfach eine Lachnummer. Die Nerven und Zeit, die man auf den Straßen verliert mal völlig ungeachtet, ist die enorme Umweltbelastung allein durch den Verkehr schlichtweg auf Dauer Selbstmord für Stadt und Mensch. Man muss sich mal vorstellen, dass die U-Bahn hier über nur drei Linien verfügt, die selbstverständlich nie genau dorthin führen, wo man hin muss. Die öffentlichen Verkehrsmittel bestehen also vornehmlich aus Bus und Straßenbahn, die auf so genannten corsie preferenziali (bevorzugte Spuren) fahren, die nicht etwa nur für diese gelten, sondern offiziell auch für Taxen, Polizei- und Krankenwagen etc. Ferner werden sie von Abbiegerspuren der Autos geschnitten und eigentlich auch von Motorrädern, Vespas, Mopeds, Fahrrädern und von einem ganzen Haufen Autos benutzt, denn schließlich heißen sie ja bevorzugte Spuren, weil sie von allen Verkehrsteilnehmern bevorzugt werden.

[…] Die gegenwärtige Situation der erhöhten Schadstoffwerte und das dadurch bedingte Fahrverbot führen nicht etwa dazu, dass die Menschen sich über ihr eigenes Verhalten Gedanken machen und vielleicht auf Dauer Konsequenzen daraus gezogen würden. Hingegen läuft die Fantasie auf Hochtouren, wie man am besten die Kontrollen an den Tagen des Fahrverbots umgeht, wo man sich an den „ungeraden“ Tagen ein Auto mit geradem Kennzeichen und umgekehrt besorgen kann. […] Liegt es an der Mentalität der Menschen, die sowieso lieber das Auto benutzen? Oder daran, dass die öffentlichen Verkehrsmittel untauglich sind und sie aus diesem Grunde nicht in Anspruch genommen werden? Oder aber sind die öffentlichen Verkehrsmittel noch immer auf dem Stand von 1952, weil sich die Bewohner dieser Stadt niemals wirklich engagiert haben, um diese Situation zu ändern, geschweige denn, dass die Verkehrspolitik hinten und vorne nicht stimmt? […] TANIA CONCIALDI, Mailand, Italien

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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