: Ideologie des Nullmediums
„Was nun …?“ „Farbe bekennen“. Bei „Christiansen“ oder in „Berlin-Mitte“? Egal. In die Talkshows kommen Stoiber und Schröder nur, damit man nichts aus ihnen herauskriegt
Die Television war noch nie ein wirklich politisches, geschweige denn investigatives Medium. Das Bildmedium Fernsehen setzt in der großen Politik auf das in Großaufnahme gesprochene Wort. Längst wird nicht mehr über, sondern mit Politikern gesprochen, neuerdings sogar auf Einladung von Expolitikern (Michel Friedman! Heinz Eggert!). Der ARD-Presseclub, in dem fachkundige Zeitungsjournalisten ein Thema debattieren, ist zum Anachronismus geworden in einer Zeit, da Sabine Christiansen und Maybrit Illner die Politprominenz selbst zu allen aktuellen Geschehnissen befragen können. In ihre populären Sendungen „kriegen sie früher oder später jeden“. Einziger Haken: Sie kriegen nichts aus ihm raus.
Bestenfalls enthüllt sich der Gast selbst, wie am letzten Sonntag der „Kompetenzwahlkämpfer“ Edmund Stoiber, der sein Fern(seh)duell gegen den Medienkanzler Schröder mit einer unerwartet „authentischen“ Vorstellung medialer Inkompetenz bestritt. Selbstenthüllungsexperten ganz anderer Art waren Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble, die im letzten Jahr ihre gerichtlich relevanten Aussagen über die Geldgeschäfte mit Waffenhändler Schreiber nicht etwa vor der Staatsanwaltschaft oder den CDU-Gremien, sondern in „Was nun …?“ (ZDF) und „Farbe bekennen“ (ARD) machten.
Die Sendungen, in denen sich Politiker so gern „stellen“, haben ihren konzeptionellen Ursprung in den medialen Versuchen der Siebzigerjahre, Bürgernähe zu schaffen. „Bürger fragen, Politiker antworten“ wurde 1976 erfunden, als die bundesrepublikanische Öffentlichkeit politisch ungewöhnlich engagiert war. Doch schon wenige Jahre danach zeigte sich, dass die Sachfragen immer mehr Know-how voraussetzten. So offenbarte sich eine markante Schwäche des Konzepts: Die Fragen der Bürger waren jetzt oft unkundig und banal, dafür emotional umso aufgeladener. In der Folge übernahmen die Profis 1986 wieder die Regie und tauften die Sendung in „Journalisten fragen – Politiker antworten“ um. Sie übten sich nun darin, Politik im versierten Zwiegespräch volkstümlich und sachdienlich zugleich „rüberzubringen“. Erster Gast der Sendung: Helmut Kohl, der vielleicht brillanteste Volksschauspieler unter den Politikern.
Wer sich wirklich für Politik interessiert, hat von diesen televisionären Begegnungen nicht viel. Durch die dialogische Auflösung, die höfliche Floskeln, weitschweifige Erklärungen, entlastende Pausen nötig macht, kann diese Form der Politikvermittlung in ihrer inhaltlichen Substanz nicht mit einem verdichteten Zeitungsartikel (oder -interview) mithalten. Sie muss überdies der Breitenwirkung des Fernsehens entsprechend neutral bleiben und ist einer gewissen Harmonie verpflichtet. Letztlich sind diese Sendungen nur jenen ein willkommenes Update, die sich nicht wirklich für Politik interessieren. Weshalb der Fragenkatalog der Journalisten wiederum mit Rücksicht auf uninformierte Zuschauer nie so weit in die Materie vordringt, dass er den Befragten ernstlich in die Enge treiben könnte. Und weil sich die Fragenden zumeist mit der Lektüre von Zeitungsartikeln präpariert haben, ertrinkt das Unterfangen für politisch Informierte dann gewöhnlich alsbald in medialer Selbstreferenz.
„Was nun?“ oder „Farbe bekennen“, „Sabine Christiansen“ oder „Berlin-Mitte“ sind also wie das Fernsehen selbst: redundant, simplifizierend, flüchtig und unpolitisch. Die Television sucht und findet ihre Wahrheiten in der authentischen Anschauung. Die wiederum bringt das Fernsehen rüber wie kein anderes Medium: Hat Kanzler Schröder wirklich die „ruhige Hand“, von der er immer spricht? Ist sein Herausforderer Edmund Stoiber seiner Herausforderung nervlich gewachsen? Und Angela Merkel weiterhin eine gute Verliererin?
Die ehrgeizige Suche nach emotionalen Wahrheiten ist den politischen Inhalten gegenüber gleichgültig. Diese mediale Zwangsläufigkeit hat fatale Folgen: Die Polittalkshow selbst degradiert sich so zu einem Ort politischer Indifferenz. Kohl und Schäuble machten sich dieses Paradoxon subtil zunutze. Ausgerechnet im grellen Licht der Fernsehöffentlichkeit ließ sich die Brisanz ihrer Aussagen am besten verdunkeln. Mehr Schadensbegrenzung war in ihrer Lage kaum möglich.
Die Verantwortlichen der Sender können nicht eben glücklich darüber sein, die Verantwortung für die Inhalte ihrer Sendungen derart an ihre Gäste abgegeben zu haben. Sie besitzen ein Monopol, aber eines von zweifelhafter Wertigkeit. Einerseits „kriegen sie früher oder später jeden“ vor ihre Kamera, weil das Massenmedium Fernsehen für alle Politiker unverzichtbares Instrument ihrer Öffentlichkeitsarbeit ist. Andererseits werden die Profis nur sagen, was zu sagen sie sich vorgenommen haben. Mehr ist einfach nicht drin. Eine wirklich aggressive Befragung gegen den Willen des Gastes widerspräche allen harmonisierenden Regeln des Fernsehens. Schon die „unterlassene Hilfeleistung“ von Sabine Christiansen, die Edmund Stoiber bei seinen Wortfindungsstörungen nur mitleidig ansah, war nach den Gesetzen ihres Mediums grenzwertig.
Man stelle sich gar vor, Maybrit Illner hätte sich (und ihre Gastgeberrolle) vergessen und den jovial bei ihr residierenden Kanzler in ein polemisierendes Wortscharmützel verwickelt, um ihm so eine unbedachte Äußerung zu entlocken. Selbst wenn ihr das gelungen wäre: Nach all den Jahren, in denen man uns auf die inhaltsarme, den emotionalen Gewinnen verpflichtete Vermittlung des Fernsehens geeicht hat, hätten wir uns doch wieder nur auf die affektive Aufladung der Situation konzentriert. Reflexartig stürzten sich unsere Sympathien auf den so unvermittelt angegriffenen Schröder, der wohl Illners journalistische Attacken mit zur Schau gestellter zwischenmenschlicher Enttäuschung begegnet wäre. Verlierer des Abends wäre Maybrit Illner gewesen. Wer mag eine so aggressive Nahkämpferin schon in seinem Wohnzimmer empfangen?
Auch weiterhin wird sich das Fernsehen deshalb mit seiner ja durchaus prominenten Rolle begnügen, lächelnd dabei zuzusehen, wie die Politiker ihr eigenes Programm durchziehen. Was Kohl und Schäuble begonnen haben, führen Schröder und Stoiber jetzt ungeniert fort: Sie bedienen sich des Fernsehens nach eigenem Gutdünken. Die Frage, ob, wann und wo ihnen in ihrem Wahlkampf ein Fernsehduell dienlich ist, machten die beiden in der vergangenen Woche ganz selbstverständlich unter sich aus. Im März oder September? Bei ARD/ZDF oder RTL/Sat.1? Oder – herrliche Allmachtsfantasie! – zeitgleich auf allen Kanälen? Dem Sendungsbewusstsein der Politiker werden keine Grenzen gesetzt. Warum auch? Und von wem? KLAUDIA BRUNST
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