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Es spukt noch immer unterm Riesenrad

Im Spreepark stapfen Plüschtiere im Matsch, Karussells verschwinden, und im peruanischen Exil führt sich Betreiber Witte auf wie ein Waffenhändler

von JAN ROSENKRANZ

Es waren einmal der Riese und die Hexe und das Rumpelstilzchen. Der Riese trug ein grausiges Bärenfell, die Hexe eine lange Nase, und Rumpelstilzchen sah ein bisschen aus wie Walter Ulbricht. Tagein, tagaus arbeiteten sie in der Geisterbahn im Kulturpark Berlin. Dort erschreckten sie die zahlreichen Gäste aus dem In- und Ausland. Bis sie eines Tages in die Spree fielen und die Flucht ergriffen. Wenig später stahlen sie im Centrumwarenhaus Alexanderplatz einen Staubsauger und flogen darauf zu dritt in den fernen Harz. „Spuk unterm Riesenrad“ hieß die Kinderserie, die 1979 erstmals im DDR-Fernsehen gezeigt wurde.

Der Kulturpark heißt inzwischen Spreepark, doch es spukt noch immer unterm Riesenrad. Denn kürzlich verschwanden auf abenteuerliche Art und Weise nicht nur der Parkbetreiber Norbert Witte samt Großfamilie, sondern mit ihm sechs Karussells – vom „Fliegenden Teppich“ bis zum „Jet-Star“ alles Flugobjekte – und die Geisterbahn. Witte will mit ihnen einen neuen Park aufbauen. Den Luna-Park. Planmäßige Landung fand angeblich schon im Dezember in Perus Hauptstadt Lima statt. Machu Picchu sticht Brocken. Zurück ließ Norbert Witte nebst jeder Menge Schulden nur seine alte Mutter. Sie wohnt im Westerndorf, hat sich mit dem Plüschtiergreifer immer etwas dazuverdient und macht sich große Sorgen.

Mitten im graubraunen Plänterwald liegt der Vergnügungspark und macht seinem Namen allerlei Schande. „Fahrgeschäfte, die zur Zeit aus technischen Gründen geschlossen sind: Fliegender Teppich“ steht auf dem angegammelten Hinweisschild am Haupteingang. Davor posieren Kassenhäuschen im lockeren Halbkreis – beulig, blechern und zu sechst. In verwaschenem Pink ragen die Loopings der großen Achterbahn in den Himmel. LKWs haben sich quer durch das Gelände gewühlt, tiefe Spuren hinterlassen und den Rasen ruiniert. Die Kinderbühne Hops und Hopsi sieht auch nicht mehr gut aus. Wind und Wetter machen den Brettern und Bänken zu schaffen. Der auf Schienen gelagerten Kinderpferdebahn nebenan auch. Krähen krächzen durch die rauschende Stille, in der Luft hängt der modrige Geruch faulenden Laubes. „Keine Hinweisschilder, keine Parkplätze. Ist nicht leicht, her zu finden, wie?“ sagt Roland Wollenschläger – einer, der allen Grund hätte, mächtig sauer zu sein auf Flüchtling Witte. Er sitzt in seinem BMW, neben ihm seine Frau Susanne: „Erst mal weg hier. Ich kenne da einen Italiener“, sagt er und drückt aufs Gas. Wollenschläger ist 46 Jahre alt, Schausteller in der vierten Generation und seit vier Jahren einer von acht selbstständigen Mietern im Park – Imbiss, Losbude, Ringewerfen und so. Als er von den verschwundenen Fahrgeschäften gehört hat, ist er erst mal zum Park gefahren, hat nachgesehen und aufgeatmet. „Die haben ja so getan, als wär nur noch das Riesenrad da“, erzählt er, und dass es um den ollen Plunder eigentlich nicht schade sei. Der Mann ist kräftig gebaut, so schnell haut den nichts um. Nur wenn der Park tatsächlich nicht eröffnet würde zum kommenden Saisonbeginn, das wäre schlimm.

1970, ein Jahr nach der Eröffnung des Kulturparks, da hat sein Vater Wolfgang gesagt: „So, jetzt rein in den Park, sonst werden wir noch alle verstaatlicht.“ Damals war noch schwer was los im „Kulti“. Am 23. Juni 1974 feierte man zum Beispiel den Tag des Bauarbeiters. Die Kollegen hatten freien Eintritt, Jiri Korn spielte auf und die Pudhys, und nach hartem Wettbewerb wurde der stärkste Bauarbeiter gekürt. Damals hatte der Park jährlich auch noch 1,5 Millionen Besucher.

Aber dann kam die Wende und mit ihr die Zeit, als man den VEB nicht mehr wollte. Händeringend suchte man nach einem neuem Betreiber. Sieben Interessenten buhlten um die Gunst des Senats, ausgerechnet Norbert Witte bekam den Zuschlag. Heute finden sich viele, die das schlimme Ende schon damals geahnt haben wollen. Kaum ein Trost für die Geprellten.

Roland Wollenschläger und seine Familie haben in den letzten Jahren über eine Million Mark investiert – er hätte also wirklich allen Grund, sauer zu sein. Aber Wollenschläger ist Geschäftsmann, was würde es ihm bringen. Ein Freund, der Psychologe ist, hat ihm mal geraten: „Wenn du im Stau stehst, überall Autos, und du kommst keinen Meter voran – da geht es auch nicht schneller, wenn du dich aufregst.“

Außerdem kann er einfach nicht glauben, dass Norbert Witte seine Flucht von langer Hand geplant haben soll. „Das war eine Kurzschlussreaktion“, sagt er, und seine Frau nickt. Wer den Park so liebt wie der Witte und plant und investiert, der haut nicht einfach so ab. Man kannte sich doch, war befreundet und ist einmal sogar gemeinsam in Urlaub gefahren – nach Amerika ins Disneyland. Irgendwie ist man sogar verwandt. „Mein Neffe ist doch auch mit nach Peru“, sagt Wollenschläger leise.

Die Querelen zwischen Spreepark und Senat bestanden eigentlich von Anbeginn. Man stritt sich um Verträge, um Baugenehmigungen und vor allem um Parkplätze. Beide Seiten schenkten sich nichts. Für Wollenschläger war der ganze Streit absurd. In einer schwachen Minute habe Witte ihm gesagt: „Ich kämpfe einen aussichtslosen Kampf gegen das Land Berlin.“ Heute steht für ihn fest, dass auch die Lokalpolitik Schuld hat am Scheitern des Spreeparkes. Wenn sich also jetzt kein neuer Betreiber findet, „bestehe ich darauf, entschuldet zu werden“, sagt Wollenschläger.

Es hat Regen gegeben, und der Parkplatz am Rande des Parkes ist aufgewühlt wie ein Truppenübungsgelände. Hier möchte man eher nicht parken, geschweige denn aussteigen. Vor der großen Spreepark-Werbetafel watschelt verloren ein zwei Meter großes, königsblaues Stoffungetüm. Es heißt Theo Tintenklecks und ist das Parkmaskottchen. Im Sommer erfreute es die Kinder auf der Freilichtbühne. Sylvia Hahnisch ist Theos Erfinderin und stinksauer über Wittes Flucht.

Viel hat er mitgenommen, sogar die Bühnentechnik, und viel zurückgelassen: 70.000 Euro müsste er eigentlich noch an Sylvia Hahnisch zahlen, die Lizenzgebühren für drei Jahre. Jetzt steht sie hier im Matsch und schaut traurig aus ihrem gelben Flauschjacket. Sie fühlt sich betrogen, könnte heulen vor Wut. Man war doch eng befreundet. Bis zuletzt habe Pia Witte gefleht: „Halt wenigstens du noch zu uns. Wir haben doch kein Geld mehr.“

Ihr Gatte scheint inzwischen ein großes Vorbild gefunden zu haben: Karl-Heinz Schreiber. So wie der nach Kanada geflohene Waffenhändler droht Witte inzwischen aus seinem peruanischen Exil, jene Berliner Politiker zu outen, die seine dubiosen Geschäftspraktiken gedeckt haben sollen – per Videokonferenz. Man darf also gespannt bleiben. Angeblich hat inzwischen ein schwäbischer Geschäftsmann Interesse am Park bekundet. „Der muss Theo übernehmen. Es lag doch auch an ihm, dass die Bank Kredit gegeben hat“, sagt Sylvia Hahnisch. Auch Roland Wollenschläger bleibt optimistisch: „Der brauchte nur den Stecker reinstecken, dann könnte es losgehen.“

Als der Riese, die Hexe und das Rumpelstilzchen den Harz erreichten, ließen sie sich nieder auf einer Burg. Tagein tagsaus trieben sie ihr Unwesen und erschreckten die Gäste. Doch eines Tages entführte das garstige Rumpelstilzchen ein Kind und steckte die Burg in Brand. Die reumütige Hexe befreite das Kind. Der kräftige Riese löschte die Burg. Und zur Strafe wurde das Rumpelstilzchen in eine tote Puppe verzaubert. Riese und Hexe wurden echte Menschen und bekamen von Oberwachtmeister Merzenbecher würdevoll die neuen Personalausweise überreicht.

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