Intergalaktische Kämpfe!

Bitte rückwärts lesen: FRASSCH! ZUMP! FOSCH!! GROLLOOOMM!!! Die japanische Richtung in Deutschland

Ein deutscher Profiboxer ließ einst verlauten, er sei immer oben und wenn er mal unten sei, dann sei eben unten oben. Keine Ahnung, ob der „schöne René“ noch seine Gefängnisstrafe absitzt, ist auch egal, denn jetzt und hier kommt es noch doller. In einem anderen Teilbereich der Populärkultur gilt seit einiger Zeit: Hinten ist vorne, vorne ist hinten, rechts ist links und links rechts. Und kaum jemand in der Öffentlichkeit hat es bemerkt, die Feuilletons, soweit ich sehe, schon gleich gar nicht, geschweige denn die vermutlich weitreichenden Konsequenzen erforscht, die sich aus dem verborgenen Wandel ergeben.

Stellen Sie sich vor, Sie schlagen die erste Seite eines Comics auf und lesen den nachgerade in philosophische Tiefendimensionen vordringenden Satz: „Dieses Magazin beginnt nicht auf dieser Seite!“ Was würden Sie tun? Das Heft wieder zuschlagen oder weiterlesen? Aber wo?

Erstmal hier: Tatsächlich stellt sich nach sorgfältigem Studium, eingehender Prüfung und sogar trotz größter Wissenslücken im Comic-Kosmos zweifelsfrei heraus, dass das Heft rückwärts zu absorbieren ist beziehungsweise von hinten nach vorne und die Bildfolgen auf den einzelnen Seiten von rechts nach links. (Die Wörter und Sätze bleiben selbstverständlich davon unberührt, andernfalls würde ja, logo, spätestens dann der gesamte Rezeptionsapparat zusammenbrechen.) Die Reihe heißt „Dragon Ball Z“ und ist zusammen mit dem Vorgänger „Dragon Ball“ eine der erfolgreichsten Comic-Serien der letzten Jahre in Deutschland. Insgesamt 3.7 Millionen Exemplare hat der Carlsen Verlag bereits davon verkauft, unterstützt von den dazugehörigen Fernsehserien, die RTL II werktäglich sendet. „Dragon Ball“ stammt – hier ist die Erklärung für die eigenartige Spiegelung – aus Japan, sein Erfinder heißt Akira Toriyama, unter „Manga“-Kennern ein bekannter Name.

Japan also. Während dort im fernen Osten Presseberichten zufolge derzeit ein um sich greifender „Sprachverfall“ diskutiert wird, weil „Jenglisch“ immer weiter um sich greife, hat sich mit „Dragon Ball“ stickum und klammheimlich die „japanische Leserichtung“ in Deutschland eingeschlichen und gewissermaßen durchgesetzt; seit „Dragon Ball“ es geschafft hat, sind zahlreiche andere „Manga“-Reihen gleichsam in der Originalrichtung erschienen.

Was inhaltlich, dramaturgisch oder zeichnerisch das Besondere an „Dragon Ball“ ist, vermag ich nicht zu beurteilen, zum Verständnis müsste man wie üblich tief in die Materie eintauchen. Nach gelegentlichen Stichproben und flüchtigem Durchblättern wird deutlich, dass sich ein intergalaktischer wie ebenso lebensgefährlicher Kampf an den nächsten reiht, dass der Boshaftigkeitsgigant Dr. Willow heißt, dass seine finsteren Mächte sogar Piccolo manipuliert haben, um den Helden Son-Goku für immer in seine Gewalt zu bringen, dem allerdings Ebifuryas Schock-Gefrierstrahl nichts anhaben konnte. Son-Goku hat bei Muten-Roshi das Kamehame-Ha gelernt, mit dem Muten Roshi das Feuer auf dem Bratpfannenberg gelöscht hat. Eine andere Figur, Vegeta, hat als Super-Saiyajin der 2. Stufe (SSJ2) eine Kampfkraft von 99.500.000, Son-Gohan mit dem Z-Schwert dagegen eine Kampfkraft von 53.000.000. Das Beruhigende übrigens: „Die Guten werden immer wieder von Shenlong ins Leben zurückgerufen! Kein Grund zu großer Trauer also.“ So weit, so kompliziert.

Was auf jeden Fall bleibt, ist eine für Europa neu gewonnene, wenn nicht errungene Kulturtechnik, ein Richtungswechsel mit unabsehbaren Folgen auch insofern, als bekanntlich Arabisch ebenfalls von rechts nach links zu lesen ist, arabische Bücher von „hinten“ nach „vorne“. Ergo rücken die Zivilisationen sukzessive näher zusammen. Dass das nicht nur denkbar, sondern machbar ist, dass wir, das heißt die Menschen der westlichen Welt, nicht nur umdenken müssen, sondern umdenken können – zahllose Mitglieder einer letztlich also doch hoffnungsvollen Generation haben es mit ihrem Konsum der „Dragon Ball“-Mangas bewiesen.

Und als ob ausgerechnet Kafka es geahnt hätte, sagt in seiner „Kleinen Fabel“ die Katze zur Maus, die der Falle entrinnen will: „Du musst nur die Laufrichtung ändern.“ Naja, so gut passt das auch wieder nicht.

DIETRICH ZUR NEDDEN