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Dollarschulden, Pesokonten

Argentinier dürfen nur limitierte Peso-Summen vom Konto abheben, hohe Schulden müssenaber in Dollar zurückgezahlt werden. Ausländische Banken drohen mit Rückzug aus dem Land

aus Buenos Aires INGO MALCHER

Tagsüber betteln organisierte Arbeitslosengruppen vor den Filialen der großen Supermarktketten um Lebensmittel. Abends trommeln Argentinier aus der Mittelschicht mit dem Suppenlöffel auf Töpfe, um ihr auf den Banken eingefrorenes Geld zurückzufordern. Alltag in einem bankrotten Land. Am Wochenende versammelten sich allein in Buenos Aires über 25.000 Menschen auf der Plaza de Mayo gegenüber dem Präsidentenpalast, um gegen die Finanzpolitik der Regierung zu demonstrieren. Großdemonstrationen wurden auch aus allen anderen bedeutenden Städten des Landes gemeldet.

Präsident Eduardo Duhalde steht unter Druck. Am liebsten würde er das Versprechen, das er bei seiner Antrittsrede gab, ungesagt machen: „Wer Dollars angelegt hat, wird Dollars zurückbekommen.“ Vor einer Woche musste Duhalde eingestehen, dass dies unmöglich ist, da „die Dollars nicht da sind“.

Wer seiner Bank mehr als 100.000 Dollar schuldet, muss alles, bis auf den letzten Cent, in Dollar abstottern. Nur Schuldbeträge unter 100.000 Dollar dürfen in den billigeren Pesos zurückgezahlt werden. Nach einer Abwertung um fast 50 Prozent bedeutet dies, dass die Schulden um 50 Prozent steigen. Umgekehrt werden allerdings Dollarschulden unter 100.000 Dollar in Peso umgerechnet – was für die Banken einen Verlust von schätzungsweise fünf Milliarden Dollar bedeutet. Mehrere ausländische Banken, die Filialen in Argentinien haben, drohen der Regierung mit ihrem Rückzug aus dem Land. Gemäß dem Zentralbankstatut würden dann sämtliche Forderungen und Verbindlichkeiten auf die argentinische Zentralbank übergehen – was womöglich deren Bankrott bedeuten würde.

Entgegen dem Versprechen des Präsidenten zahlen die Banken bisher keine Dollars an die Sparer aus, selbst wenn das Geld auf einem Dollarkonto angelegt wurde. Bis zu 10.000 Dollar auf einem Festgeldkonto können umgetauscht und abgehoben werden – allerdings zum offiziellen Wechselkurs von 1,40 Peso pro Dollar. Auf dem freien Markt schloss der Dollar am Freitag jedoch bei 1,65 Peso. Pro Monat dürfen nicht mehr als 700 Peso abgehoben werden, gemäß offiziellem Wechselkurs entspricht dies 500 Dollar. Auf dem freien Markt reicht es aber beim Kauf von Dollar gerade aus, um 350 Dollar zu kaufen. Die Differenz von 150 Dollar gehört der Bank.

Die Bargeldbeschränkung, mit der die Regierung das Bankensystem vor dem kompletten Zusammenbruch retten will, verhindert, dass die Wirtschaft nach fast vier Jahren Rezession wieder in die Gänge kommt. Die Banken argumentieren, das Geld sei schlicht nicht da, um die Guthaben der Sparer auszubezahlen. „Wenn eine Bank die Festgeldkonten nicht bezahlen kann, muss sie eben bankrott erklärt werden und wir werden darüber stauen, wie schnell das Geld wieder auftaucht“, sagt der Ökonom Claudio Lozano vom linken Gewerkschaftsverband CTA.

Über die Hälfte der Argentinier hat indes ganz andere Probleme. 60 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung hat laut einer Untersuchung des Meinungsforschers Rosendo Frage kein Bankkonto. Das bedeutet, dass mehr als die Hälfte der Argentinier dem informellen Sektor zuzurechnen sind. Sie arbeiten schwarz, sind unterbeschäftigt oder erwerbslos und verdienen in bar. Da die Mittelklasse aufgrund ihrer eingefrorenen Bankkonten kein Bargeld mehr ausgeben kann, fehlt dem informellen Sektor die wirtschaftliche Grundlage. Dies führt dazu, dass die Armen in Argentinien derzeit nur schwer oder überhaupt nicht an Lebensmittel und Medikamente kommen. Fraga warnt vor einer „sozialen Explosion“.

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