: Islamrat renoviert Fassade
Größter Dachverband der Muslime trennt sich von seinem umstrittenen Vorsitzenden Özdogan. Der neue Chef war Pressesprecher der islamistischen Milli Görüs
BERLIN taz ■ Begleitet von heftigen Diskussionen hat der größte Dachverband in Deutschland lebender Muslime, der von der islamistischen Organisation Milli Görüs dominierte Islamrat, am Wochenende überraschend eine neue Führung gewählt. Mit der Entmachtung öffentlich umstrittener Personen soll ganz offensichtlich das Image des streitbaren Dachverbands aufpoliert werden.
Ab sofort übernimmt der bisherige Pressesprecher von Milli Görüs, Ali Kizilkaya, den Vorsitz. Der bisherige Vorsitzende Hasan Özdogan fiel bei der Abstimmung durch und gehört damit der Führungsspitze nicht länger an. Das Vorstandsmitglied Abu Bakr Rieger verzichtete sogar auf eine erneute Kandidatur.
Hasan Özdogan war erst im Juni des vergangenen Jahres als Verbandschef bestätigt worden. Hinter seiner überraschenden Abwahl verbirgt sich vermutlich die Absicht, ihn aus dem Rampenlicht zu nehmen. Denn im September vergangenen Jahres wurde ihm in einem Beitrag des „Report aus München“ nachgewiesen, enge Verbindungen zum libyschen Staatsschef Muammar Gaddafi unterhalten zu haben. Ähnlich umstritten ist Abu Bakr Rieger, ein hochrangiger Funktionär der dubiosen Murabitun-Vereinigung. Diese sektenähnliche Organisation, die durch Kontakte zur rechten, antisemitischen Szene aufgefallen war, geht auf die Gründung eines zum Islam konvertierten Schotten zurück. Rieger amtiert als „Scheich“ der Murabitun in Weimar und hatte jüngst eine Erklärung abgegeben, die Johann Wolfgang von Goethe zum Muslim machte. Rieger war bisher für die „Rechtsangelegenheiten“ des Islamrats verantwortlich.
Im Gegensatz zu Rieger und Özdogan gilt der neue Vorsitzende Ali Kizilkaya als eher unscheinbare Persönlichkeit ohne besonderes Charisma. Anders als Özdogan hielt er sich mit politisch brisanten oder ungeschickten Äußerungen bisher zurück. Der 39-jährige Kizilkaya ist ein enger Vertrauter des Milli-Görüs-Vorsitzenden Mehmet Sabri Erbakan, der sehr auf den politisch korrekten Ruf seiner Organisation bedacht ist. Milli Görüs dominiert den Islamrat seit Jahren und ist die größte Mitgliedsorganisation. Vieles spricht dafür, dass Erbakan mit Ali Kizilkaya einen Mann in die erste Reihe geschickt hat, der das ramponierte Renommee des Dachverbandes aufbessern soll. „Die Tendenz kann durchaus so gedeutet werden“, bestätigt Wolf Ahmed Aries, wissenschaftlicher Beirat des Islamrats.
Inhaltlich jedenfalls will Kizilkaya keine eigenen Schwerpunkte setzen. „Ich würde nicht sagen, dass ich vieles anders machen werde als Herr Özdogan“, sagte er der taz. Mittlerweile ist Kizilkaya von allen Ämtern bei Milli Görüs zurückgetreten, um eine „Interessenkollision“ zu vermeiden. Er hoffe, so Kizilkaya, dass Hasan Özdogan ihm beratend zur Seite stehen werde. Der hörbar enttäuschte Özdogan erklärte in einem Gespräch mit der taz, er müsse zunächst „über all diese Dinge nachdenken“.
Die außerplanmäßige Neuwahl des Vorstandes war aus vereinsrechtlichen Gründen nötig geworden. YASSIN MUSHARBASH
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