: Leidergottes Bremerhaven
■ Das Statistische Jahrbuch ist da: mit allem über die Einwohner Fishtowns, Zangengeburten, das Bremer Gummigewerbe, Kasachen – und das verflixte siebte Jahr
Ob die Anzahl der Krafträder auf 1.000 Einwohner in Burg-Grambke, die Zahl der Knackis in Bremer Gefängnissen, den Anstieg der Schülerzahlen oder den Fischmehlimport nach Bremerhaven – wer über diese Dinge Näheres erfahren will, kann seit gestern mal wieder nachschlagen: im funkelnagelneuen Statistischen Jahrbuch des Landes Bremen für das Jahr 2001.
300 Seiten dick, ein titanisches Machwerk voller Zahlen und hochaufschlussreicher Info-Grafiken. Eine Art Focus für ganz Reiche, der Interessantes über Bauinstallations-Betriebe, Azubis, das Bremer Gummigewerbe, Verkehrsunfälle oder die Zahl der Singles verrät – 47 Prozent der 355.000 Bremer Haushalte werden von nur einer Person geführt.
Auch die Zahl der 17.000 Pflegebedürftigen ist hier zu erfahren. Genau wie die Menge der Zangengeburten (188), Kaiserschnitte (1.867) und Vakuumextraktionen (414) im Jahr 2000. Nur über die Schicksale hinter den Zahlen steht im Jahrbuch nichts drin.
Alte Statistikerweisheit: Traue nur der Statistik, die du selbst gefälscht hast. Und so wurde Jürgen Dinse, Chef des Statistischen Landesamtes (Stala), ganz schön kleinlaut auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des Stala-Werkes. Da musste er tatsächlich auf Nachfragen einräumen, dass es im vergangenen Jahr gar nicht – wie im Pressetext und von Dinses Chef Innensenator Kuno Böse verkündet – „mehr Gäste in Bremer Hotels“ gab – sondern nur mehr Deutsche. Tatsächlich stieg die Zahl der deutschen Gäste in Bremen in den ersten zehn Monaten 2001 nur um 1,7 Prozent. Die der ausländischen Gäste sank hingegen um satte 15,3 Prozent (die der Bremen-Besucher aus den USA sogar um 23 Prozent). Stala-Dinse: „Da haben wir wohl einen Fehler gemacht.“
Schwamm drüber! Das sind Petitessen im Vergleich zum sonstigen Reichtum, den das Zahlen-Monster zu bieten hat: Höchststand bei den Studenten (28.201), bei den Alten (119.708 Bremer sind 65 oder älter) und beim Zuzug: Erstmals seit 30 Jahren gibt es wieder Einwohnerzuwächse in Stadtbremen. Im Vergleich zum gleichen Vorjahreszeitraum stieg die Zahl der Bremer im ersten Halbjahr 2001 um exakt 1.202 auf 540.067. Damit stabilisiert Bremen seinen schwächlichen zehnten Platz bei der Bevöl-kerungsgröße westdeutscher Städte: Zwischen Düsseldorf (570.000 Einwohnern) und Duisburg (529.000). Dafür sank die Zahl der Bremerhavener weiter: um 181 auf nur noch 120.822. „Leidergottes“, trauerte Innensenator Böse. Bremen kassiert nämlich aus dem Länderfinanzausgleich satte 3.000 Euro pro Nase.
Ohne die 79.000 Ausländer wäre alles noch viel schlimmer. Davon sind 30.342 Türken, 267 Kasachen, 81 Togolesen – und in Bremerhaven nur eine einsame Albanierin. Ob sie ihr Glück gefunden hat, muss unklar bleiben. Statistisch bombensicher belegt ist dafür die alte Weisheit, dass sich die meisten Ehen tatsächlich im siebten Jahr scheiden. Von 1.814 Lebensgemeinschaften gingen 2000 nach diesem verflixten Zeitraum genau 142 in die Brüche – Spitze! Immerhin trennten sich aber auch noch 171 Pärchen nach vollbrachter Silberhochzeit. Von den Scheidungen betroffen waren 850 Kinder.
Zum Glück gibt es ja noch die Wirtschaft. Sieben Glaser und 49 Heizungsinstallateure leben in Bremen, 691.000 Arbeitsstunden wurden hier im Jahr 2000 auf Baustellen geleistet. Und außerdem 13.000 Tonnen Strickwaren, 4.000 Tonnen Hanf und Jute und 49.000 Tonnen Ölkuchen und 146.000 Tonnen Südfrüchte über die Häfen eingeführt. Schließlich gibt es noch diese 100 Milliarden Mark: Das ist der Warenwert, der über die Häfen umgeschlagen wurde. Da durfte sich auch Statistiker Dinse mal freuen: „Das ist die größte Zahl in unserem Jahrbuch.“
Kai Schöneberg
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