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Stammzellen aus der Grauzone

Ein Drittel der weltweit zur Verfügung stehenden embryonalen Stammzellen kommen aus Schweden. Jetzt sollen gesetzliche Regeln für die Gewinnung der umstrittenen Zellen verabschiedet werden. Auch das therapeutische Klonen soll erlaubt sein

aus Stockholm REINHARD WOLFF

Erst am 4. Dezember letzten Jahres sagte der von der Regierung in Stockholm eingesetzte Ethikrat ja zur Entnahme embryonaler Stammzellen und der Entwicklung eigener Stammzelllinien. In mehreren schwedischen Labors hatte man diesen Beschluss allerdings schon lange vorweggenommen. In keinem Land sind bislang so viele Stammzelllinien entwickelt worden, wie in Schweden – 24 von weltweit 72 waren es an dem von US-Präsident George Bush auf den 9. August 2001 gesetzten Stichtag für die Verteilung von Forschungsgeldern. Mittlerweile sind es einige mehr. Wie viele, wird von den ForscherInnen nicht öffentlich gesagt.

Gewachsen sind sie in einer Art juristischen Grauzone. Was nicht ausdrücklich verboten worden war, wurde seit Jahren in den Labors praktiziert, kontrolliert nur von lokalen ethischen Komitees, die von Fall zu Fall darüber entschieden, ob die bei der künstlichen Befruchtung „übrig gebliebenen“ Embryonen zu Forschungszwecken genutzt werden durften.

Der Ethikrat segnete diese Vorgehensweise nachträglich ab, die von ihm formulierten Richtlinien entsprechen im Wesentlichen der bisherigen Praxis. Verwendet werden dürfen in Zukunft Stammzellen aus frischen Embryonen, die eine „zu geringe Qualität“ haben, um der Frau eingepflanzt zu werden, oder eingefrorene Embryonen, die ein Paar dazu freigegeben hat. Bestimmen die in den USA entwickelten Richtlinien, dass die Stammzellforschung nicht von der Institution betrieben werden darf, in der die Embryonen befruchtet wurden, glaubt man in Schweden hier keine Interessenkonflikte befürchten zu müssen: Ärzte, die mit künstlicher Befruchtung arbeiten, dürfen selbst die hierbei übrig gebliebenen Embryonen zur Stammzellgewinnung nutzen. Nur das Spenderpaar um Erlaubnis fragen soll nicht der behandelnde Arzt selbst, sondern ein Kollege.

Professor Lars Hamberger vom Sahlgrenska Universitätskrankenhaus in Göteborg hat bereits mehrere Stammzelllinien entwickelt und sieht den Beschluss des Ethikrats als Startschuss für eine breite international angelegte Forschungsarbeit. Die in Schweden entstandenen Stammzelllinien sind überall da begehrt, wo eigene aufgrund nationaler Gesetzgebung bislang nicht entwickelt werden durften: „Wir haben schon Anfragen aus Paris und Amsterdam bekommen.“ Besonders wichtig sei natürlich die Zusammenarbeit mit den USA: „Wir bekommen Zugang zu amerikanischen Forschungsgeldern.“

Göteborg ist neben dem „Karolinska Institut“ in Stockholm das andere schwedische Forschungszentrum, in welchem Stammzelllinien entwickelt wurden. Offiziell. Tatsächlich aber soll es solche an zehn weiteren Kliniken geben, unter anderem in Uppsala und Lund. Die Stammzellforschung hat somit in Rekordzeit großen Zulauf bekommen. Hamberger: „Bei jährlich rund 8.000 künstlichen Befruchtungen bleiben ja auch viele Eier übrig.“ Vier bis fünf pro Woche landen in Göteborg in der Stammzellforschung: „Mehr Embryos schaffen wir nicht. Aber es ist ja erst ein Beginn.“

Schwedens Ethikrat segnete vor sieben Wochen nicht nur die Stammzellforschung ab, er empfahl dem Gesetzgeber auch, den Weg für therapeutisches Klonen freizugeben. Nach Großbritannien würde Schweden damit das weltweit zweite Land werden, in dem es erlaubt ist, dass der Zellkern eines Patienten in eine entkernte Eizelle transferiert wird, um Stammzellen zu bekommen, die mit dem Patienten genetisch übereinstimmen. Der sozialdemokratische Forschungsminister Thomas Östros hat bereits angekündigt, dass möglichst noch vor der parlamentarischen Sommerpause dem Reichstag ein entsprechendes Gesetz vorgelegt werden soll. In diesem soll vor allem geregelt werden, dass geklonte Embryonen nicht mehr in die Gebärmutter einer Frau eingesetzt werden dürfen. Und auch der Handel mit Embryonen aus „Gewinnabsichten“ soll verboten werden.

Eine Zustimmung des Parlaments erscheint sicher. Ablehnende oder kritische Stimmen sind aus den im schwedischen Reichstag vertretenen Parteien bisher nicht bekannt. Am zurückhaltendsten sind noch die Christdemokraten, die laut einem kürzlich verabschiedeten Grundsatzpapier lediglich einen „weitest möglichen Schutz vor unethischer Kommerzialisierung“ wünschen und sich skeptisch zum therapeutischen Klonen äußern. Ansonsten aber „im Grunde positiv der Stammzellforschung gebenüber“ sind.

Auch die der PDS vergleichbare „Linkspartei“ stört sich vor allem an einer drohenden Kommerzialisierung und möchte möglichst die gesamte Forschung ausschließlich öffentlich finanzieren lassen. Darüber hinaus will man nur die zwingende Zustimmung der Frau gesetzlich verankert sehen, bevor ein Embryo von ihr für Forschungszwecke verwendet wird. Sozialdemokraten, Liberale und Konservative stehen uneingeschränkt hinter der Stammzellforschung. Die Zentrumspartei verabschiedete vor kurzem ein Papier, in dem sie ethische Bedenken als „grundlos“ abweist: „Die Beweislast hierfür liegt bei denen, die Abstand von dieser Forschung und ihren Möglichkeiten nehmen wollen.“

Die Grünen haben sich noch nicht endgültig festgelegt und beklagen, dass die Forschungspraxis einfach Tatsachen geschaffen und dem Gesetzgeber damit vorgegriffen habe. Die Stammzellforschung wird aber als wichtig bejaht auch wenn die Partei vermeiden will, dass Gewinninteressen die Entwicklung bestimmen.

Ausgesprochene GegnerInnen sind in der schwedischen Debatte selten. Einer davon ist der Jesuitenpastor und Professor für medizinische Ethik am Stockholmer Karolinska Institut, Erwin Bischofberger. Einem Embryo Stammzellen zu entnehmen überschreite eine Grenze: „Keiner kann mich davon überzeugen, dass das, was dabei ist, sich zu einem Menschen zu entwickeln, Zelllinien oder Zellkulturen sind.“ Auch „übrig gebliebene“ befruchtete Eizellen dürfe man nicht verwenden, da sie „nicht für diesen Zweck vorgesehen waren“. Doch auch Bischofberger kann sich vorstellen, therapeutisches Klonen akzeptieren zu können, hätte aber gern, dass man dabei von Stammzellen erwachsener Menschen ausgeht: „Die Entwicklung in Deutschland und Kanada hat gezeigt, dass dies ein gangbarer Weg werden könnte.“

Die Konvention des Europarats über Menschenrechte und Biomedizin, welche die Herstellung von Embryonen ausschließlich zum Zwecke der Forschung verbietet, hat Schweden zwar unterschrieben, aber noch nicht ratifiziert. Der Ethikrat empfahl der Regierung, entweder eine Ausnahme zu beantragen, oder die Konvention nicht zu ratifizieren. Die Regierung hat durchblicken lassen, tatsächlich auf eine Ratifikation zu verzichten, sollte man eine Ausnahme nicht bewilligt bekommen.

Die ökonomischen Interessen, die hinter der liberalen Linie Schwedens zur Stammzellforschung stehen, sind unübersehbar und werden auch von der Regierung nicht bestritten. Schweden hat schon immer eine innovative Arzneimittelbranche gehabt, bei der Stammzellforschung sieht man eine Chance in der ersten Liga mitzuspielen. Dass es sich bei dem, was sie erforschen, um viel Geld handelt, wissen auch die direkt beteiligten Personen offenbar nur zu gut. Professor Lars Hamberger ist nicht nur einer der führenden schwedischen Wissenschaftler im Bereich Stammzellforschung, er ist Vorstandvorsitzender und Aktienbesitzer eines an der Börse notierten Unternehmens mit Namen Vitrolife.

Die Aktiengesellschaft Cell Terapeutics Scandinavia wurde von einer Forschergruppe gegründet. Sie und die im Umfeld Stockholmer Forscher entstandene Ovacell wollen einst vermarkten, was in den Labors Zukunftsmusik ist: die Technik, Stammzellen so zu „steuern“, dass sie sich zu bestimmten Gewebetypen entwickeln, Herzmuskel-, Hirn-, Blutzellen.

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