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Asyl für verurteilten Attentäter empört Aleviten

Auswärtiges Amt bestätigt, dass mindestens ein wegen Beteiligung am Massaker von Sivas verurteilter Türke in Deutschland Asyl erhalten hat

BERLIN taz ■ Die Aleviten in Deutschland seien „traurig und erschüttert“, sagt Metin Kücük, Vorstandsvorsitzender des Kulturzentrums anatolischer Aleviten in Berlin. Mitte der Woche hatte das Auswärtige Amt bestätigt, dass einem türkischen Staatsbürger, der 1993 an einem Massaker an 37 Aleviten im türkischen Sivas teilgenommen hatte, in Deutschland Asyl gewährt wurde. Der Türke, dessen Namen das Auswärtige Amt nicht nannte, war im Juni 2000 von einem Gericht in Ankara in Abwesenheit verurteilt worden. Insgesamt ergingen 45 Urteile, darunter 31 Toderurteile.

Das Außenministerium machte keine Angaben dazu, auf welcher Grundlage der Türke Asyl erhielt und ob er zu jenen zählt, die in Ankara zum Tode oder zu einer Haftstrafe verurteilt wurden. Das Amt wies lediglich darauf hin, dass derzeit geprüft werde, ob das Asyl wieder zurückgenommen werden kann. Zwei weitere wegen des Sivas-Massakers Verurteilte hätten ebenfalls in Deutschland Asyl beantragt, eine Entscheidung sei aber noch nicht gefallen, erklärte das Auswärtige Amt in seiner Antwort auf die Anfrage der PDS-Abgeordneten Ulla Jepke.

Nach Angaben der alevitischen Verbände in Deutschland und Pressemeldungen in der Türkei halten sich noch drei weitere Sivas-Attentäter in Deutschland auf. Das Auswärtige Amt konnte dies wegen Schwierigkeiten bei der Feststellung der Personalien zunächst nicht bestätigen. Mittlerweile gibt es auch Berichte, dass zwei zum Tode Verurteilte in Saudi-Arabien Asyl erhalten haben sollen.

„Wir werden sie nicht in Ruhe lassen und sie aufspüren“, erklärte Metin Kücük. „Man kann nicht gegen afghanische Taliban vorgehen und türkischen Taliban Asyl gewähren.“

Auch das Bundesinnenministerium konnte bisher keine näheren Angaben zu Einreisedatum und Asylgründen machen. Im Regelfall werden Asylanträge mit der deutschen Botschaft im entsprechenden Land gegengecheckt. Möglicherweise konnten die drei Verurteilten, deren Aufenthalt in Deutschland bestätigt ist, nur wegen einer Panne einreisen. Offen ist auch, ob unter ihnen zum Tode Verurteilte sind. Dann dürften sie nicht in die Türkei abgeschoben werden. Im vergleichbaren Fall des „Kalifen von Köln“, Metin Kaplan, versucht die Bundesregierung zur Zeit eine „verbindliche“ Zusicherung der türkischen Regierung zu erhalten, Kaplan nicht hinzurichten oder zu foltern. Seit über zehn Jahren wurde in der Türkei die Todesstrafe nicht mehr vollstreckt. Ende 2001 hat der türkische Innenminister Yücelen seinen deutschen Kollegen Schily zu einem Besuch in die Türkei eingeladen, um über den Fall Kaplan sowie weitere Fälle straffällig gewordener türkischer Staatsbürger und ihre mögliche Auslieferung zu sprechen. Damit waren möglicherweise auch die Sivas-Verurteilten gemeint.

In Sivas in Zentralanatolien hatte 1993 ein Kulturfestival stattgefunden, wo Künstler, Intellektuelle und Aleviten gegen die Islamisisierung der Türkei protestiert hatten. 37 Personen starben, als ein Mob von Islamisten das Tagungshotel in Brand steckte. YASSIN MUSHARBASH

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