: Bedenkenlos materialistisch
Auf der diesjährigen Internationalen Möbelmesse in Köln präsentierte sich die Branche trotz Umsatzeinbußen optimistisch: Wohlleben ohne Wenn und Aber mit kräftigen Farben, modularen Formen und beweglichen Polstern lautet die Devise
von MICHAEL KASISKE
Bricht eine Periode an, in welcher der Konsument sich wie ein Epikureer verhält? Zumindest könnte man es angesichts der im Januar auf der Internationalen Möbelmesse in Köln vorgestellten Produkte meinen: Grafische Formen und kräftige Farben strahlten einen Optimismus aus, der den kurzzeitigen, aber heftigen Einbruch der Branche infolge der Attentate am 11. September zu einem Randereignis marginalisiert und für das kommende Geschäftsjahr von einem bedenkenlos materialistischen Verhalten der Endverbraucher auszugehen scheint.
Komfort und Material
Bei den unter dem Oberbegriff „Avantgarde und Design“ subsumierten Produkten konnte der Eindruck entstehen, dass die Gestaltung der Sechzigerjahre vollends, die der Siebzigerjahre zunehmend die aktuelle Linie vorgeben. Doch dieser erste Blick täuschte. Der Rekurs war kein modischer Selbstzweck. Anders als das manierierte Ausreizen des bereits Bekannten, das die Möbelmesse im letzten Jahr bestimmte, standen diesmal Komfort und Material im Vordergrund. Womit sich der Kreis zum epikureischen Wunsch nach Wohlleben ohne Wenn und Aber schließt.
Modulare Formen und bewegliche Polster waren häufig zu entdecken. Endlos zu erweiternde Regalsysteme wie „egal“ des Berliner Designers Axel Kufus (für Nils Holger Moormann) oder die biegsamen Sofas aus der Serie „Reef“ von Piero Lissoni (für Cassina) seien stellvertretend für die etablierten Firmen genannt.
Dazu passte, dass Müller-Möbelwerkstätten die Entwürfe des Hamburger Designers Rolf Heide wieder auflegt. Auf der Möbelmesse wurden die 1969 entworfenen Sofaelemente gezeigt, mittlerweile allerdings hergestellt aus umweltfreundlichem Schichtholz.
Neuheiten und Urheber
Eine Neuheit hingegen ist die Weiterentwicklung des Bettes 24, das die schweizerische Firma WOGG präsentierte. Als eine Art horizontaler „Setzkasten“ erscheint die Vielzahl von ausziehbaren Körben unter dem Bettrahmen, in denen Kissen, Decken und andere für den Aufenthalt im Bett brauchbare Utensilien aufbewahrt werden können. Damit erfährt der in der Regel leere und staubige Raum unter der Matratze eine sinnvolle Nutzungsmöglichkeit.
Eine für den Verbraucher nicht sichtbare Seite des Designs, nämlich die Urheberrechte an einem Entwurf, zeigte TECTA am Beispiel des Stahlrohrhockers von Marcel Breuer. Denn um dieses Möbelstück ist ein Streit entbrannt: Die Rechtsnachfolger des Bauhauses Dessau erheben Anspruch auf die Lizenz, die TECTA einst von Breuer erworben hat.
Schließlich, so die Argumentation der Dessauer, sei das Möbel in dessen Lehrzeit am Bauhaus entstanden, somit ist der Entwurf Eigentum der Schule. Für Werke von Kandinsky, Klee und anderen, die ebenfalls am Bauhaus lehrten, gilt dies nicht: Kunst ist eben normalerweise an ihren Schöpfer gebunden. Ist der Hocker nun ein Kunstwerk oder ein Gebrauchsgegenstand? Diese Frage ist jetzt an die Jurisprudenz gerichtet, deren Antwort sicherlich um einiges komplizierter als das einfache Möbelstück sein wird.
Arrivierte und Junge
Die Veranstaltungen der Möbelmesse und der seit Jahren parallel an verschiedenen Orten im Stadtzentrum veranstalteten „Passagen – Interior Design in Köln“ waren in diesem Jahr erstmals miteinander verwoben. Damit wurde der fällige Schritt getan, die Kenntnisse der arrivierten Messeveranstalter und den Elan jüngerer Designer oder Hersteller synergetisch zu bündeln. Mit „Spin off – designed for industry“ startete die Passagen-Organisatorin Sabine Voggenreiter in den bisher für Sie tabuisierten Messehallen eine Initiative, die auch als räumlich sichtbare Schnittstelle zwischen jungen Entwerfern und Produzenten fungieren soll. Formgeber-Berlin etwa, die sich längst mit Lampen und Accessoires etabliert haben, könnte hier mit den präsentierten Regalmodulen „Tilt“ durchaus der Einstieg ins Möbelgeschäft gelingen.
Unter den Teilnehmer der Passagen befinden sich viele gerade gestartete oder zumindest startbereite Designer. Seit längerem bereits bekannt ist der Berliner Flip Sellin, der in Köln seine eleganten, sowohl für öffentliche als auch private Bereiche entwickelten Polsterlandschaften vorstellte. Startbereit ist der unter „Kubix“ firmierende Designer André Ivanyi mit einem Modulelement; die Kuben aus Holz und Stahlblech verändern durch Verdrehen ihre Nutzbarkeit und können somit als Solitär oder – mit mehreren Elementen – als Sideboard oder Regal eingesetzt werden. Es bleibt zu wünschen, dass ihre Weiterentwicklung für die Serienproduktion nichts an Faszination einbüßt.
Roboter und Hunde
Auch in diesem Jahr organisierten das Museum für Angewandte Kunst und die Möbelmesse eine gemeinsame Ausstellung. In „Ex Machina – Eine Geschichte des Roboters von 1950 bis heute“ liegt der Schwerpunkt auf der funktionalen und kommunikativen Gestaltung der Maschinen. Folgerichtig steht die interaktive Auseinandersetzung der Besucher mit einzelnen Funktionen wie Greifen, Ordnen oder Reaktion auf Sprache im Mittelpunkt. Das ist zunächst faszinierend, wird freilich schnell eintönig. Da wären Zukunftsmöbel, wie sie einst Jacques Tati in seinem Film „Mon Oncle“ zum Einsatz brachte, zweifellos unterhaltsamer gewesen.
Doch Designer denken nicht nur an die Genussfreude des Menschen. Für die italienische Firma Magis hat Michael Young ein „dog house“ entworfen. Der aus Polyäthylen bestehende Kasten steht auf Kufen und ehrt seinen Bewohner mit der Inschrift: „Treuer Freund – Starker Beschützer“. Das Möbel ist jedoch eine Ausnahme. Auf den Hund gekommen war die diesjährige Möbelmesse keinesfalls.
Aussteller im Netz:
www.moormann.de, www.cassina.it, www.muellermoebel.de, www.wogg.ch, www.tecta.de, www.formgeber-berlin.de, www.kubix.de, www.magisdesign.com
Die Ausstellung „Ex Machina – die Geschichte des Roboters“ läuft noch bis zum 14. April 2002. Ort: Museum für angewandte Kunst, An der Rechtschule, 50667 Köln, Di u. Do–So 11 bis 17, Mi 11–20 Uhr, Katalog 35,00 €
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