: Englischer Garten im Outback
Australiens kleinster Bundesstaat Victoria gibt sich gerne europäisch, zumindest in den Städten. Selbst im kleinsten Kaff sind die Vorgärten voller englischer Rosen, die sich brav an Gittern ranken
von ANDREA STRUNK
Wie heißt die Steigerung von „down under“? „Down anders.“ Okay, schlechter Witz. Aber die Victoria-Tourismus-Branche, deren Werbeleute diesen Satz kreierten, meint ihn ernst und hat so Unrecht gar nicht. Denn alles, wofür Australien steht, gibt es in Victoria nicht. Jedenfalls nicht wirklich.
Victoria liegt im Südosten von Australien. Ignoriert man die Insel Tasmanien, ist zwischen dem kleinsten Bundesstaat des Kontinents und der Terra antarctica nur Wasser. Recht nahe will einem das Eis da dünken, quasi just hinter dem Horizont, und das stimmt natürlich nicht, denn auch von Victoria sind es noch ein paar tausend Meilen, doch erklärt diese relative geografische Nähe zum Pol, warum Victoria – um das werbende Wortspiel auf die alberne Spitze zu treiben – zwar down under, aber eben anders down under und damit eigentlich schon wieder up above, also ziemlich europäisch ist.
Zunächst ist es grüner. Neben den pompösen Gumtrees, den immergrünen Eukalyptusbäumen, gedeihen sogar außeraustralische Baumarten, die im australischen Herbst mit vorwitziger Keckheit ihre Blätter verfärben. Sogar Schnee gibt es in Victoria, sogar Skilifte und Loipen, sogar Alpen und Alpenhütten, zumindest heißen sie so, sogar einen Laden für Kuckucksuhren, made in Bavaria.
Victoria, so sagt man, hat fast alles, was Australien andernorts in verschwenderischer Größe bietet. Kleiner eben. Die Wüste ist eine Sandkiste, nicht einmal die Prärie lässt sich herab, ihren Horizont in unermessliche Ferne zu rücken. Tagelanges Dümpeln durch das Buschland? No, mate, wie der Australier gerne sagt. Is’ nich’, Kumpel. Den Staub, die flirrende Luft des berüchtigten Outbacks kann man hier nicht inhalieren.
Victoria ist der Gartenstaat. Zivil wie die Manieren der Queen, die, dem Willen des Volkes von 1999 entsprechend, noch immer ihre majestätische Hand über den Kontinent und seine Bewohner hält. Über manche mehr und über andere weniger, je nach Hautfarbe. Sittsam ist es. Für Australien-Anfänger bestens geeignet und auch für jene, denen unmenschliche Leere und Öde gestohlen bleiben können. Selbst im kleinsten Kaff sind die Vorgärten voll englischen Rosen, die sich brav an Gittern ranken. Melbournes Architektur ist vom amerikanischen Skylinegeist geprägt, und die Sprache der Victorianer ist nicht ganz so nuschelnd wie die anderer Landsleute.
In Warrnambool, einem kleinen Städtchen unweit der Great Ocean Road, gibt es in jedem Mai ein dreitägiges Pferderennen, zu dem die gesamte victorianische High Society mit Hüten anreist und dessen Hauptrenntag zum örtlichen Feiertag ausgerufen wurde. Zwischen Cola-Dosen und anderem Müll, staubiger Erde und australischen Hillbillys geben sich die Damen aus diesem Anlass dann ganz British, schlürfen Champagner, stülpen über ihre Winfield eine Zigarettenspitze und winken huldvoll ihrem Jockeyfavoriten zu. Zwar passt dieses Gehabe zu Warrnambool wie ein Maitanz zu einem Eukalyptusbaum, doch die Leute haben ihren Spaß. Neben der etwas magersüchtigen Schönheitskönigin ist der Hutmacher umschwärmter Gast an den Tischen der Ehrenloge, die in Warrnambool nur ein Zelt auf grünem Rasen ist. Nicht nur weil er ein begnadeter Hutmacher, sondern vor allem weil er so charmant ist und die Damen mit Handküsschen, Komplimenten und Sprüchen wie „I’m the mad-hatter“ bestens unterhält.
Und doch ist Victoria Australien, mag es sich noch so europäisch geben. Die Farmer nämlich scheren die Versuche der Stadtbewohner, ein bisschen britische Contenance in die Wildheit zu bringen, recht wenig. Und nicht wenige Victorianer pfeifen ebenfalls darauf. Der Mythos des Outbacks ist nicht zu schlagen. Zumindest nicht mit Biskuits und Porzellantässchen. Im Bierrausch, in den Tagträumen, in der Werbung, an den staubigen Straßenkreuzungen ist noch immer jeder ein Sonntagscowboy, auch wenn er die Tage im Büro verbringt und statt Geländewagen BMW fährt. Als läge das Outback den Leuten im Blut, als wäre es eine australienspezifische DNA-Komponente, die sie immerfort zwingt, sich den Härten des Lebens zu stellen. Anders jedenfalls ist es nicht zu erklären, dass halb Melbourne in der Mittagspause selbst bei brennender Sonne joggen geht, sich anschließend unter die Dusche stellt und nahtlos sein Tagewerk fortsetzt.
Ebenfalls für Außenstehende unverständlich ist die Begeisterung für jene seltsame Sportart, die als Australian Football bekannt ist und aussieht wie eine Mischung aus Ringkampf, Kamasutra und Emu-Imitation. Über allem steht die Lust am Kampf mit den Elementen. Egal wie sie beschaffen sind.
Das gilt auch für die Langeweile. Kaum nämlich kreuzt man ein wenig auf schnurgerader Straße über Land, das so flach ist wie ein schlechter Blondinenwitz, kommt garantiert aus dem Irgendwo im 90-Grad-Winkel eine andere Straße auf einen zu, die beiden Wege kreuzen sich, und schwupp!, schon steht dort auch ein Dorf, in dem man ums Verrecken nicht tot über dem – ja worüber eigentlich? – hängen möchte. Zaun wohl nicht, denn den gibt es nicht.
Bartresen wäre passender. Zu einem Sportplatz und einem Pub reicht es in diesen Kreuzungsdörfern nämlich allemal. Und zu einem riesigen Schild, auf dem „Fosters“ steht. Zu einem Billardtisch. Auf den Barhockern sechs Kerle, also schon die gesamte männliche Dorfbevölkerung, mit karierten Hemden und diesen seltsamen abgeschnitten aussehenden Cowboystiefeln mit Laschen an beiden Seiten des Schafts. Zum bequemen Anziehen. Wenn so ein Mann mal ganz hurtig auf sein Pferd hüpfen muss. Weil der Dingo das Schaf holt, der Busch brennt. Und natürlich braucht so ein Kneipencowboy auch nur einen Satz, um die ganze tiefere Philosophie dieses Kontinents auszudrücken: „No worries, mate“. Klar, lass stecken, Kumpel.
So und so ähnlich sind die Szenen, aus denen in Australien die Legenden gestrickt werden. Sie täuschen darüber hinweg, dass die offizielle Geschichtsschreibung Australiens gerade mal ein Reclam-Bändchen füllen würde.
Nicht zuletzt aber versüßen sie die Wirklichkeit. In Wirklichkeit nämlich leben die wenigsten Australier im Outback, sondern in den Städten. Weshalb Melbourne, das noch vor hundert Jahren ein dreckiges, typhusverseuchtes Goldgräberkaff war, inzwischen dreieinhalb Millionen Einwohner hat. In Wirklichkeit sind die Kängurus nämlich nicht niedlich, sondern eine Plage. In Wirklichkeit ist das Problem mit den Aborigines noch immer nicht geklärt und ist die Sage vom Land ohne Rassenkonflikte eben nur eine Saga.
Die Jahre, in denen die Wirtschaft boomte und der Begriff „Arbeitslosigkeit“ nicht zum australischen Vokabular gehörte, sind Vergangenheit. Mancher Farmer, der früher nur zu seinen Schafen sprach, hat mangels Nachfrage seine Ställe zu Cottages mit erlesener Einrichtung umgebaut und vermietet diese an Touristen. Reitet mit ihnen ein bisschen über das Land, teilt mit ihnen den Familientisch und verwöhnt sie mit victorianischen Weinen. „Es bringt gutes Geld“, sagt Robert, der mit seinem 1875er-Farmhaus namens Glenisla vor allem europäische und amerikanische Touristen begeistert. „Die Gäste kommen als normale Menschen, aber wenn sie gehen, dann fühlen sie sich wie australische Cowboys.“ Down anders wahrscheinlich.
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