SICHERUNGSVERWAHRUNG FÜR STRAFTÄTER: EIN DISKUTABLER VORSTOSS: Der Staat muss schützen können
„Jede schwere Gewalttat, die man verhindern könnte, ist eine zu viel.“ Mit diesem Credo will Baden-Württemberg das Recht der Sicherungsverwahrung verschärfen. Diese zeitlich unbeschränkte Sanktion soll künftig auch noch nach Ende einer Strafhaft und bereits bei Ersttätern angeordnet werden können. Die Stuttgarter Landesregierung beruft sich dabei auf das populistische Kanzlerwort vom letzten Sommer: „Wegsperren, und zwar für immer.“ Der Gesetzentwurf aus Baden-Württemberg würde dies zumindest erleichtern.
Natürlich ist es einfach, diesen Gesetzentwurf in die rechte Ecke zu stellen. Schließlich hat jeder Misstrauen verdient, der sich positiv auf das unreflektierte Kanzlergeschwätz bezieht. Auch die Tatsache, dass die Sicherungsverwahrung eine Erfindung der NS-Zeit ist und bis vor rund fünf Jahren ihre Abschaffung wahrscheinlicher schien als eine Ausweitung, macht skeptisch. Und völlig abwegig ist, dass die Schwaben auch Fälle erfassen wollen, in denen nur wirtschaftlicher Schaden droht.
Man kann es deshalb nicht oft genug sagen: Im freiheitlichen Rechtsstaat kann es keine absolute Sicherheit geben. Ein Staat, in dem jeder eingesperrt werden darf, der möglicherweise einem anderen etwas zuleide tun könnte, wäre unerträglich. Umgekehrt darf der Staat aber dort, wo mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit konkrete Verbrechen drohen, auch nicht die Augen schließen. Das muss auch für die Entlassung von Straftätern gelten, bei denen fest mit neuen schweren Verbrechen zu rechnen ist. Und wenn es hier bislang keine Rechtsgrundlage zum Eingreifen gibt, dann muss sie eben geschaffen werden.
Insofern ist der Stuttgarter Gesetzentwurf durchaus diskutabel. Dabei muss aber immer klar sein, dass es bundesweit um höchstens fünf bis zehn Fälle pro Jahr gehen kann. In Baden-Württemberg, wo das neue Recht bereits seit einem Jahr gilt, gab es bisher keinen einzigen Anwendungsfall. Deshalb ist ein derartiges Gesetz aber nicht überflüssig. Es zeigt eher, dass die Bestimmungen rechtsstaatlich konzipiert und angewandt werden. Und wenn eine zumindest theoretisch vorhandene Schutzlücke geschlossen wird, kann das auch hilfreich sein. Denn nur ein Staat, der zum Schutz vor eindeutig gefährlichen Gewalttätern in der Lage ist, kann auch auf Akzeptanz hoffen, wenn er in weniger eindeutigen Fällen die Freiheits- und Grundrechte betont. CHRISTIAN RATH
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