: Körper, Kunst und Konjunktur
■ Hartmut Böhme zu Gast in der Freien Akademie der Künste
Solange der Mensch sich selbst reflektiert, solange geht es ihm immer auch um Fragen des Körpers. Seit es Philosophie gibt, wurde verhandelt, wie das Verhältnis vom sicht- und fassbaren Körper zu Nichtmateriellem wie Geist oder Seele beschaffen sei. Die Frage, an welcher Stelle zwischen von Menschen gemachter Kultur und vorgefundener Natur der Körper zu positionieren sei, beschäftigte nicht erst jüngere Theorien, denen zufolge der Körper Kampfgebiet von Machtkonflikten und Herrschaftsansprüchen ist.
Der Idee des defizitären, nämlich sterblichen Körpers, seiner Überwindbarkeit oder zumindest Ästhetisierung, widmet sich heute Abend in der Freien Akademie der Künste der Berliner Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme. Im Rahmen der Reihe „Kunst als Sinnstiftung“ wird es ihm um die Geschichte der technischen Inanspruchnahme und Steigerung des Leibes gehen – bis hin zu heutigen Methoden und Trends von Modifikation und Reproduktion.
Im Zusammenhang mit Körperempfinden und -vorstellungen sprach Böhme, der unter anderem über Mentalitäts- und Religionsgeschichte arbeitet, vor einigen Jahren über zwei große motivliche Linien, die heute „nebeneinander präsent“ seien: Einerseits die „christliche Tradition“, der zufolge „der Körper überstiegen, verlassen und auf ein eigentlich und wesenhaft spirituelles Sein überschritten werden sollte“. Demgegenüber stehe eine „stärkere Körper- und Sinnenbetonung“, die bereits die antike „griechische Kultur“ ausgemacht habe. Den alten Wunsch nach Körperlosigkeit suche heute die medialisierte Stilisierung, die Transzendenz oder gar Verneinung des Leiblichen in Virtualität und Cyber-space zu verwirklichen. Andererseits sei ein deutliches Verlangen nach Optimierung des vorhandenen Körpers auszumachen. Dieser „Körperkult“, so streicht Böhme heraus, sei durchaus nicht zufällig: „Er ist ein Mittel zum Zweck, zum Zweck der Darstellung innerhalb der verschiedenen sozialen Bühnen, in denen er als ein nahezu modisches Kapital präsentiert wird.“ Das habe damit zu tun, „dass jedenfalls in den urbanen Zonen der Gesellschaft so etwas wie Körperarbeit mehr oder weniger marginal geworden ist, so dass körperliche Tätigkeit gewissermaßen künstlich stilisiert oder inszeniert werden muss.“
Zwischen solchem „self fashioning“ und immer rationaleren „life sciences“ wird sich Böhme Überlegungen zur zukünftigen anthropologischen Gestalt des Menschen widmen – nicht zuletzt dürfte es dabei auch um die Rolle künstlerischer Verfahren gehen.
Alexander Diehl
heute, 19.30 Uhr, Freie Akademie der Künste, Klosterwall 23
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen