piwik no script img

Schriftzüge in der Landschaft

Den Bildern eine Geräuschkulisse geben, realistische Künstlichkeit schaffen: Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt eine groß angelegte Retrospektive zum Werk des US-Westküstenmalers Ed Ruscha

Hollywood liegt hinter einem, aber man kommt ja wieder

von CHRISTOPH BLASE

Es gibt Künstler, die sind weltberühmt, ihre Arbeiten im sechsstelligen Bereich richtig teuer, und trotzdem erhalten sie sich über Jahrzehnte hinweg einen Insiderstatus.

Ed Ruscha, der 64-jährige Kalifornier, ist so einer. Ruscha ist nie richtig in Mode, aber dafür auch nie aus der Mode. Das bürgt für Qualität und noch viel mehr für Einfluss auf jüngere Künstler. An so jemanden kann man sich orientieren, ohne dass es gleich jeder merkt. Und wenn doch, muss erst einmal geklärt werden, an welchen Arbeiten, jenen mit oder ohne Schrift, den knalligen oder den düsteren oder vielleicht, sehr oft der Fall, an den frühen Fotobüchern. Denn Ruscha presst aus seinen Werkzyklen – und von denen gibt es viele – nie das Letzte heraus. Wenn es läuft, lässt er es sein und beginnt etwas Neues. Neue Bilder von Ruscha wiederum sind nicht unbedingt sofort als solche zu erkennen, aber zu erahnen.

Wie, das deuten ein paar Songzeilen von David Stephenson und Richard Bell auf einer Single-CD an, die in London in limitierter Auflage erschien. Beharrlich wünscht es dort im Chor:

I want to take a plane and fly to L. A.

I want to hang out with Ed Ruscha

He makes pictures and words interplay

He puts the cool into L. A.

That's Ed Ruscha

Mobilität, Schrift, Orientierung, das sind die Bestandteile, die Ruscha immer wieder neu ins Bild bringt. Vieles schwebt. Zum Beispiel das brennende Kunstmuseum von Los Angeles (1965), das wie auf einer fliegende Insel diagonal im breitformatigen Bildraum verharrt. Aus der Rückseite des Gebäudes schlagen die Flammen. Aber brennt es wirklich? Oder ist es nur der wuchtige Raketenmotor, der gerade versucht, die Museumsinsel im All ein wenig in Bewegung zu bringen? Vielleicht weiß die Besatzung nicht, wo sie hinfliegen soll.

Orientierung könnten die „Metro Plots“ aus den späten Neunzigerjahren bieten, riesige Bilder mit einer körnigen gräulichen Oberfläche, auf der sich ein paar streifenartige Straßenlinien abzeichnen, die mit „Miami“, „Atlanta“ oder „Houston“ beschriftet sind. Man schaut auf die Bilder und befindet sich abstrakt im Anflug. Draußen herrscht allerdings Sandsturm oder Nebel oder noch Schlimmeres, auf jeden Fall bieten nur noch die computergenerierten Wegzeichen Orientierung und die Gewissheit, dass noch alles da ist. So könnte der Film zwischen diesen beiden Bildern von 1965 und 1999 ablaufen.

Die Ausstellung in Wolfsburg, letzte Station einer seit Sommer 2000 tourenden Retrospektive, ist allerdings chronologisch aufgebaut, was sie nicht gerade aufregend macht. Zwar verkraftet das Werk eine solch bürokratische Kunsthistorikersicht, für einen Künstler jedoch, der so fulminant mit Bild- und Schriftmomenten hantiert, mit Augenblicken und Zusammenhängen, ist die Präsentation etwas trocken. So wichtig und verdienstvoll es ist, diese Schau nach Deutschland geholt zu haben, so sehr wird die Möglichkeit verspielt, sie atemberaubend zu inszenieren.

Die „Standard-Tankstelle“ (1963) vom Beginn der Ausstellung, dieses dynamische, von unten ins Bild gefilmte Teil, das nach hinten weg zur Zeichnung wird, dieses Bild, das a) Tankstelle zeigt und b) durch den Schriftzug „Standard“ dominiert wird, korrespondiert durchaus mit „American Tool Supply“ von 2001 aus dem letzten Raum. Es sind wunderschöne Berglandschaften, kombiniert mit ein paar Worten, schneebedeckt und einseitig sonnenbeschienen, die Ed Ruscha in den letzten Jahren malt. Die Tankstelle und die Natur, der Schriftzug „Standard“ und „American Tool Supply“ treffen sich nach fast vierzig Jahren. Man nehme jetzt noch „Electric“, ebenfalls 1963, hinzu. Auf blauem Grund läuft etwas oberhalb der Mittellinie der Schriftzug über die volle Bildbreite. Die Buchstaben wirken wie ausgestanzt, dahinter die Farben eines rotgelben Sonnenuntergangs der romantischsten Sorte. Man schaut durch das Wort „Electric“ auf ein Licht, das so kein Strom erzeugen kann. Die gleichen Farben wie in „The Back of Hollywood“ (1977), der berühmte Schriftzug in der Landschaft, aber eben spiegelverkehrt von hinten. Hollywood liegt hinter einem, aber man kommt ja wieder.

Ruscha träumt nie, aber er weiß, dass es eine Traumindustrie gibt. Seine Bilder sind wie Werbespots oder Filmtrailer von jemandem, der versucht, aus diesen Methoden noch mehr herauszuholen.

Es ist die Methode der gleichzeitigen Reizung verschiedener Sinneswahrnehmungen, sehen, lesen, laut lesen und damit auch hören. Und, bei Ruscha ganz wichtig, das richtige Licht setzen und damit Schatten und damit Atmosphäre schaffen. Realistische Künstlichkeit erzeugen. Raum für die Wirkung der Worte bereit stellen. Den Bildern eine Geräuschkulisse geben.

Lauschen wir noch einmal hinein, in diesen Song aus London über den Westküstenmaler:

I don't want no retrospective

Sand in the Vaseline

She didn't have to do that

Another Hollywood dream Bubble popped

A Boulevard called Sunset

He lives over in valley view

For those of us who have double parked

Hollywood is a verb

Die Zeilen entspringen Texten aus den Bildern, und es kommt einem so vor, als ob sie auch ohne die Bilder funktionieren würden. Man sieht die Texthintergründe, die abstrakten Farbverläufe, die Landschaften, die weißen Lichtpunkte auf schwarzem Grund oder jene zeittypische Phase aus den Siebzigerjahren, als Ruscha auf natürliche Schreibflüssigkeiten wie Eigelb, Heidelbeerextrakt oder auch Sherry zurückgriff, um sie auf Seide, Viskose oder Moirégewebe aufzutragen.

Mitte der Achtzigerjahre malte Ruscha düstere Bilder mit dunklen unscharfen Schatten, von einem Elefanten zum Beispiel, der einen Berg hinaufstapft, oder zwei alten Segelschiffen in stürmischer See. Merkmal dieser Serie, die unübersehbar mit alter schwarzweißer Filmdramaturgie spielt, ist ihre Schriftlosigkeit.

Zuweilen sind ein paar Streifen weiß ausgespart, leere Flächen, in die man sich die Worte hineindenken kann. Das maritime Segelschiffbild trägt zum Beispiel den Titel „Brother, Sister“, das eine freie Feld ist größer als das andere.

Die so genannten Silhouettenbilder wirken wie ein Scharnier in der Ausstellung. Ruscha schien auszutesten, ob es auch ohne Worte geht. Sie stellen einen Moment des Innehaltens dar und lenken den Blick zurück auf die wenigen fotografischen Arbeiten aus den Sechzigerjahren. Diese liegen in zwei Formen vor, als feine kleine Fotobücher mit Titeln wie „Twentysix Gasoline Stations“, „Some Los Angeles Apartments“ oder „Thirtyfour Parking Lots in Los Angeles“ unter Glas in einer Vitrine oder, Jahre später von Ruscha aufgelegt, als Fotografien an der Wand.

Die Fotos zeigen, was die Titel ihrer Bücher sagen. Doch was heute wie übliche Kunstpraxis aussieht, nämlich eine Reihe von Tankstellen zu fotografieren oder leere Parkplätze aus dem Hubschrauber heraus zu dokumentieren, war damals eine Pionierleistung. Gerade das kleine Tankstellenbuch von 1963 wurde in den Achtzigerjahren zu einer Bibel für junge Fotokünstler, vor allem wenn sie in Düsseldorf studierten.

Parallel zu den Fotobüchern zeichnete Ruscha wiederum sowohl die Motive aus den Büchern als auch die Bücher selbst mit Bleistift. Hier wird das saubere Dokumentarische der Architekturen im modernen Stil, die Schnörkellosigkeit des Blickes, noch deutlicher als bei den Fotos. Ruscha reduzierte den materiellen Einsatz auf das Nötigste, Schwarzweißfotos und Graphit, Kamera und Bleistift, jene Skizzenmedien, die auch jeder Archäologe bei der Ausgrabung mit sich führt, um die entscheidende Bildinformation für die nachfolgende Forschung festzuhalten.

Das größte Projekt dieser Art visualisierter Soziologie bildet ein auf 760 Zentimeter Länge aufklappbares Leporellobuch, das nicht mehr und nicht weniger zeigt als „Every Building on The Sunset Strip“, aufgenommen 1966 mit einer auf der Ladefläche eines Pick-up aufgebauten Kamera. Man spürt förmlich, wie das Auto ein paar Meter fährt, anhält, die Kamera auslöst, der Film transportiert wird, der Wagen wieder anfährt. Rechts oben beginnt der Streifen, führt die gesamte Straße hinunter, um dort zu wenden und die andere Straßenseite im unteren Teil auf den Kopf stehend zu präsentieren. Ein Loop, wie man ihn aus der heutigen Videokunst kennt, 36 Jahre alt und auf Papier gedruckt, Auflage 1.000 und fünf Jahre später noch einmal 5.000 Exemplare.

Über eine runde Wand laufend ausgehängt ist das komplette Stück jedoch nicht im Kunstmuseum, sondern im Kunstverein Wolfsburg zu sehen. Dort findet jenes „hang out with Ed Ruscha“ statt, von dem jeder mit L. A.-Erfahrung und Kunstverstand träumt. Unter dem Titel „Imaging L. A.“ werden Arbeiten von Ruscha und Aquarelle der 33-jährigen Künstlerin Silke Otto-Knapp kombiniert. Otto-Knapp versucht, knallige Farbfotografie mittels der fragilen und sensiblen Technik des Aquarells in Malerei zu reduzieren und damit ein wenig Impressionismus in die mediengeprägte kalifornische Künstlichkeit zu bringen. Das hört sich theoretisch gar nicht schlecht an, langweilt jedoch leider spätestens nach dem dritten Bild.

„Ed Ruscha“ im Kunstmuseum Wolfsburg, 208-seitiger Katalog im Scalo Verlag für 29 €. „Imaging L. A.“ im Kunstverein Wolfsburg. Beide Ausstellungen bis zum 28. April 2002. Der Download der Mp3-Datei von „I want to hang out with Ed Ruscha“ findet sich unter: http://homepage.ntlworld.com/zoella/wonderweb/ruscha2.html

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen