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Starker Tobak

Wie Fliegenlarven Kröten fressen: Koos van Zomeren schickt ein ungleiches Brüderpaar auf Wanderurlaub und schildert den Horror der Natur – „Lord Byron war auch hier“

Koos van Zomeren ist ein in den Niederlanden überaus bekannter Biologe, Journalist und Schriftsteller, der 1997 mit dem Roman „Das Mädchen im Moor“ auch in Deutschland einen kleinen, verdienten Erfolg hatte. In seinem neuen Roman „Lord Byron war auch hier“ schickt er ein ungleiches Bruderpaar in den gemeinsamen Wanderurlaub ins Berner Oberland. Pieter, der Ich-Erzähler, ist Biologe und Familienvater; Bruno dagegen ein gefeierter Schriftsteller mit Schreibblockade. Dabei ist Pieter mit seiner Bescheidenheit und seiner Beobachtungsgabe natürlich der Weltweisere, muss sich dafür bisweilen jedoch selbst als Spießer durchschauen. Und Bruno ist bloß ein einziges Drama, ein Schriftsteller eben, und die „hassen alles, was sich nicht den Worten unterordnet, also alles“.

Immer wieder erinnert sich Pieter an eine Kindheit mit dem größeren Bruder, der ihm angeblich mal das Leben gerettet haben soll. Und jetzt eröffnet Bruno ihm mitten um Urlaub, dass er einen Mord begangen habe. Der Lebensretter von einst will am Amsterdamer Bahnhof wahllos irgendeine „Schnalle“, eine Tramperin, in seinem Wagen mitgenommen und später erwürgt haben.

Während Bruno seinen Bruder noch von seiner Tat zu überzeugen versucht, verliert man als Leser allerdings ein wenig das Interesse, weil van Zomeren diesen Mord von Beginn als rein fiktionales Problem einführt. „Mord – auf der Stelle wurde es ein absurdes Wort. […] Mord ist ein Wort für die Zeitung oder für Hollywood, aber nicht für ein Gespräch unter Brüdern.“ Und wie viele Menschen mussten schon sterben, weil den Drehbuchautoren nichts Besseres einfiel!

Das ist umso ärgerlicher, weil van Zomeren zwischendurch immer wieder Bilder einer ganz anderen, ungleich wirklicheren Art von Horror gelingen – beispielsweise indem er schildert, wie die Fliegenart Lucilia bufonivora ihre Eier auf Kröten ablegt, wie die Larven sich dann in den Nasenhöhlen des Wirts einnisten, um die Kröte von innen heraus aufzufressen, beginnend bei den Augen, endend beim Hirn. Überhaupt besteht die Erzählkunst des Niederländers vor allem in einer Naturanschauung, bei der der Mensch sich gleichzeitig als ein Teil von ihr fühlt und dennoch ihr Beobachter bleibt. „Über mir funkelte das sich in tausend Kristallen brechende Sonnenlicht. Obwohl der Himmel hoch und außergewöhnlich weit war, hatte ich das Gefühl, wie unter einem Torbogen zu stehen. Diese Empfindung war derart intensiv, dass ich später […] immer wieder nach einer rationalen Erklärung dafür suchte. Die ich nie gefunden habe. Aber ich nehme an, dass wohl jeder etwas sucht, das er eigentlich nicht finden will.“

„Lord Byron war auch hier“ ist somit immerhin noch ein zur Hälfte lesenswertes Buch geworden, das nicht ganz an „Das Mädchen im Moor“ heranreicht und leider auch nicht allzu sorgfältig übersetzt scheint. Das deutet sich bereits bei der Groschenromantik des deutschen Titels an. Im Original heißt der Roman „Sterk water“, wörtlich Salpetersäure, was umgangssprachlich so viel wie „Starker Tobak“ bedeuten kann. Aber mit Leichtigkeit! ANDREAS MERKEL

Koos van Zomeren: „Lord Byron war auch hier“. Aus dem Niederländischen von Thomas Hauth. Arche Verlag, Hamburg 2001, 156 Seiten, 18 €

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