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Irgendetwas stimmt nicht

Gefühle, die aus der Kälte kamen: In ihrem zweiten Roman „Unter Schnee“ seziert Antje Rávic Strubel die Liebe und die Verständnisschwierigkeiten zweier Frauen. Die Beziehungsanalyse mischt die 27-Jährige mit einem ethnologisch genauen Blick auf die deutsch-deutsche Vergangenheit

Zuerst verschwimmt die Vergangenheit, dann fächert sie breit auf und schillert

von SUSANNE MESSMER

Kälte geht immer. Wenn es in Erzählungen darum gehen soll, dass die Figuren möglichst brutal auf sich selbst zurückgeworfen werden, geben Schnee und Eis die ideale Kulisse ab. Weiße, leere Landschaften bringen jede Ablenkung zum Erstarren und zwingen die, die in ihr sind, nach innen. Ob in der Musik, im Film oder der Literatur, im „Eissturm“ von Rick Moody oder „Winterschläfer“ von Tom Tykwer: immer geht es bei diesen kalten Geschichten um Rückzug und Versenkung, und meist endet alles in der unausweichlichen Katastrophe, die nun mal eintritt, wenn man sich zu viel mit sich selbst befasst.

Auch bei Antje Rávic Strubels zweitem Roman „Unter Schnee“ geht es um eine Hand voll Personen, die wegen der Kälte zusammen kommen müssen. Sie alle machen Urlaub in einem kleinen Skiort in Tschechien, sie alle warten vergebens auf das richtige Skiwetter. Auch das Liebespaar Vera und Evy, die das Zentrum des Romans bilden, warten und warten, und je mehr sie warten, desto stärker zerplatzen sie fast in der Spannung, die sich zwischen ihnen ballt. Mal wird aus Veras, dann wieder aus Evys Sicht erzählt, was die eine denkt, dass die andere erwartet.

Irgendetwas stimmt nicht, sosehr sie es gern möchten, kommen sie doch nicht zusammen, das spürt man von Anfang an. Während Vera es nicht ertragen kann, dass Evy immer so vernünftig ist und nur selten aus der Reserve zu locken ist, kann Evy es kaum aushalten, dass Vera immer alles wissen will und aussprechen muss. Vielleicht liegt es nur daran, dass ihre Liebe zu Ende ist, am Überdruss, der sich langsam breit macht, vielleicht liegt es auch an einem deutsch-deutschen Kommunikationsproblem: Vera stammt aus Mainz im Westen, Evy aus Senftenberg im Osten, und es kommt nicht selten vor, dass die eine der anderen vorwirft, sich aus Gewohnheit in Verhaltensmustern zu bewegen, die von der eigenen Seite aus schwer zu verstehen sind.

Antje Rávic Strubel erzählt so geschickt von dem diffusen Unwohlsein ihrer Figuren, dass man nie sicher weiß, sind es nun deren Erwartungshaltungen, um die es hier geht, oder sind es vielleicht die eigenen, die beim Lesen mitschwingen. Selbst bei einfachen Randfiguren wie Gisela und Eduard Schmidt, deren Beziehung aus gegenseitiger Rücksichtnahme besteht und die sich freuen, in einer Sauna schwitzen zu dürfen, die früher höheren Tieren vorbehalten war, dringt man nie ein in die Figuren.

Auch eine Frau, die ihren Mann dafür hasst, dass er den Drill bei der Armee verinnerlicht hat und ihn jetzt an seinen bockigen Sohn versucht weiterzugeben, bleibt trotz der Ich-Erzählhaltung letzten Endes doch rätselhaft. Ein letzter unauflöslicher Rest in den Figuren bewahrt sie bei Strubel davor, ähnlich bloßgestellt zu werden wie zum Beispiel bei Ingo Schulzes „Simple Storys“, die ähnlich episodenhaft angelegt sind wie „Unter Schnee“. Schulzes Underdogs aus der ostdeutschen Provinz werden mit einer Geste des Ekels bis auf die Knochen ausgezogen, bei Strubel hat man das Gefühl, sie steht ihren eigenen Geschöpfen mit mehr Respekt gegenüber.

Geschichte, die Vergangenheit der DDR, kommt bei der siebenundzwanzigjährigen Antje Rávic Strubel anders als bei älteren Autoren wie Schulze oder auch Thomas Brussig immer nur indirekt vor, wie durch Milchglas, zuerst verschwimmt sie, dann fächert sie breit auf und beginnt zu schillern: Anknüpfungsmöglichkeiten tun sich auf. Strubel, die zur Zeit der Wende gerade mal fünfzehn Jahre alt war, gehört zur ersten Schriftstellergeneration der DDR, die nicht zu viel, aber gerade noch genug von der DDR mitbekommen hat, um sie heute kühlen Blicks sezieren zu können. Sie konnte einen ethnologischen Zugriff auf eine Welt entwickeln, die viele Ältere immer noch nur von innen sehen können und die viele Jüngere nicht mehr interessiert.

Schon in ihrem ersten Roman „Offene Blende“, der erst vor einem halben Jahr herausgekommen ist, beschrieb sie eine deutsch-deutsche Liebesbeziehung in New York, in der die DDR nur sparsam dosiert war, aber umso mehr Einfluss auf ihre Protagonisten und den Verlauf der Geschichte gewinnen konnte. Während sie dort aber noch die Konstruktion der multikulturellen Metropole, des von der DDR am weitesten entfernten Punkts brauchte, während „Offene Blende“ in einem sympathischen Anflug von Größenwahn an Uwe Johnsons „Jahrestage“ anknüpfte, funktioniert „Unter Schnee“ viel unspektakulärer, abgespeckter. Der Roman kommt ganz ohne große Dramen aus. Die Verständigungsschwierigkeiten, von denen unklar bleibt, ob sie einen echten Grund haben, bleiben in der Schwebe.

Eines Abends geht Vera bei Schneegestöber raus, man fürchtet schon, sie könnte nicht mehr zurückfinden. Doch Strubel weiß um die vielen Geschichten, die sich der Metapher der Kälte bedienen, sie weiß, dass diese meist in einem Desaster endeten, und darum lässt sie Vera überleben. Alles bleibt, wie es war, keine der Ungereimtheiten, die im Eis immer unerträglicher wurden, löst sich.

Antje Rávic Strubel: „Unter Schnee“. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2001, 160 Seiten, 13 €

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