: Eurostreit in Krisenzeiten
Angeblich will die EU eine höhere Verschuldung im Fall von Wirtschaftskrisen zulassen. Forscher fänden das sinnvoll, aber politisch falsch. Die Bundesregierung dementiert
BERLIN taz ■ Ob die Europäische Kommission den Schulden-Verwarnungsbrief für Deutschland absenden darf, ist noch nicht klar. Das entscheiden die Finanzminister, bei denen Hans Eichel ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hat. Trotzdem ist Deutschland dem bei den Maastrichter Euroverträgen festgelegten Defizitmaximum von 3 Prozent bedenklich nahe gekommen.
Finanzminster Eichel sieht weiter die Schuld an dem vergleichsweise hohen Defizit Deutschlands bei den Bundesländern, die ihre Ausgaben stark erhöht hätten – insbesondere Hessen, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. „Das wird so nicht gehen“, sagte Eichel am Sonntagabend in der ARD.
Mittlerweile geht es teilweise schon weniger um die Frage, ob Deutschland nun von der EU-Kommission verwarnt wird oder nicht. Diskutiert wird vielmehr, ob 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Neuverschuldung als Höchstgrenze überhaupt ein sinnvolles Kritierium ist oder nicht. Nach Informationen der Financial Times Deutschland soll künftig nicht mehr die tatsächliche Neuverschuldung zählen, sondern ein „um konjunkturelle Einflüsse bereinigter Fehlbetrag“. Die Zeitung beruft sich in ihrem Bericht auf einen „führenden Finanzminister“ in der EU.
Eine solche Neuinterpretation des Schuldenkriteriums würde bedeuten, dass die Schulden, die aufgrund der konjunkturellen Lage gemacht werden müssen, vom Gesamtdefizit abgezogen werden dürfen. Der Sprecher von EU-Währungdkommissar Pedro Solbes hält dies offenbar für undurchführbar. „Sie können nicht einfach den Stabilitäts- und Wachstumspakt anders auslegen. Es müsste der ganze Pakt geändert werden.“ Im Übrigen dürfte auch das um konjunkturelle Einflüsse bereinigte „Strukturdefizit“ in Deutschland vergleichsweise hoch ausfallen, und zwar nur um rund 0,7 Prozent niedriger als ohne Bereinigung.
Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder stritt solche Pläne ab und verwies auf die ökonomische Bedeutung des Stabilitätspakts: „Die sichere Einhaltung der 3-Prozent-Obergrenze des Maastricht-Vertrags für das Haushaltsdefizit stellt die Voraussetzung für die stabilitätsorientierte und wachstumsfördernde Geldpolitik der Europäischen Zentralbank dar“, sagte er gestern in Berlin.
Die Deutschen waren 1997 bei der Formulierung der Kriterien selbst die lautesten Befürworter der 3-Prozent-Grenze. Denn die Kriterien sollten festlegen, welche EU-Länder den Euro einführen dürfen. Mit Blick auf inflationsgebeutelte Währungen wie die italienische Lira oder die griechische Drachme glaubte der damalige Finanzminister Theo Waigel (CSU), eine strikt festgelegte Höchstgrenze für die Neuverschuldung werde die Südeuropäer zur Haushaltsdisziplin zwingen. Sonst, so fürchtete man in Bonn, werde die neue Währung nicht stabil sein.
„Wir hätten schon viel früher darüber diskutieren müssen, ob dieses Kriterium Sinn macht“, meint Karl Brenke, Konjunkturexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Denn: „Dadurch sind der Finanzpolitik enge Grenzen gesetzt.“ Die 3-Prozent-Grenze jetzt in Frage zu stellen, hält Brenke für falsch: „Man hat das Kriterium für sinnvoll gehalten. Jetzt darf man es nicht in Frage stellen“, sagte der Experte gestern. „Sonst beunruhigt man die Finanzmärkte, und das wird dem Kurs des Euro schaden.“
Auch Jan-Egbert Sturm, Leiter der Abteilung Konjunktur und Finanzmärkte beim Münchner ifo-Institut, hält eine Änderung der Maastricht-Kriterien nur eingeschränkt für sinnvoll: „Volkswirtschaftlich wäre es klug, die Defizitfrage während einer Rezession anders zu interpretieren“, sagte Sturm der taz. „Politisch aber ist das äußerst fraglich, weil die Glaubwürdigkeit darunter leiden könnte.“
KATHARINA KOUFEN
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