Glockenspiel auf Kosmetikkur

■ Die Meißener Porzellanglocken der Böttcherstraße besuchen ihre Heimatstadt. Sie sollen dort restauriert werden. Dem sächsischen Glockenarzt bringt das 15.000 Euro und kostet zwei Tage Kletterei an Bremens erster Adresse sowie viel Arbeit

So sind sie, die Touristen. Auch an einem verregneten Tag wie heute kommen sie in die Böttcherstraße, die Blicke ungeduldig zwischen die Backsteingiebel des roten Kontorhauses gerichtet. Objekt der Begierde ist das Glockenspiel aus Meißener Porzellan, das dreimal täglich seine Melodien durch die Passage bimmelt.

17 Meter weiter oben zieht sich Klaus Ferner ächzend am Fensterrahmen hoch, klettert aus dem vierten Stock des alten Glockenspielhauses. Vorsichtig tastet sich der 60-Jährige mit einem Fuß vor, sucht festen Halt zwischen den beiden Giebeln. Die Menschen unten warten vergeblich – es ist zwölf Uhr, doch das Glockenspiel der Böttcherstraße erklingt heute nicht.

Und auch in den nächsten drei Wochen müssen die Bremer und Nichtbremer auf das „Weserlied“, das „Nordische Seelied“ und den „Lustigen Matrosensang“ verzichten. Während dieser Zeit nämlich stehen die weißen Porzellan-glöckchen, die aussehen wie Zuckerhüte, in einer Werkstatt ihrer Geburtsstadt Meißen. Genauer gesagt in der Werkstatt von Klaus Ferner, jenem Mann, der jetzt in seinem grünen Blaumann nach dem passenden Schraubenschlüssel kramt, um die Muttern einer Glocke zu lösen. Der Diplom-Ingenieur mit dem rötlichen Rauschebart leitet ein Unternehmen für Turmuhrenbau, das auf Meißener Porzellan spezialisiert ist – als einziges in Deutschland. Ein beiger Sticker auf Ferners Grünmann zeugt von der langen Tradition des Familienbetriebes: „Seit 1872“ baut die Familie Glockenspiele – damals hatte Urgroßvater Ferner den Betrieb gegründet.

Auch das Glockenspiel der Böttcherstraße hat eine alte Tradition. 1934 wurden die Porzellanglocken, damals noch in Blau mit vergoldeter Innenseite, eingeweiht. Nachdem im Zweiten Weltkrieg die Bomben der Alliierten die Böttcherstraße inklusive Glockenspiel zerstörten, musste ein zweites her. Das war 1954.

Nach 36 Jahren hatte auch das ausgedient, nachdem mehrere Glocken zerbrochen waren. 1990 setzte die Bremer Sparkasse als Besitzer der Böttcherstraße 112.800 Mark ein, um das aktuelle Glockenspiel zu installieren. Seitdem trotzt es dem rauhen norddeutschen Wetter – und muss jetzt erneuert werden.

Das Porzellan selbst ist unversehrt, soll lediglich geputzt werden. Stärker hat der Zahn der Zeit an den Halterungen der Glocken genagt, Gussteile aus Aluminium, die mittlerweile gebrechlich geworden sind.

Bevor er mit den Glocken gen Meißen aufbricht, muss Klaus Ferner noch das ein oder andere Mal seine Schwindelfreiheit unter Beweis stellen – insgesamt 30 Porzellan-Glocken müssen abmontiert werden. 15.000 Euro verdient man eben nicht im Schlaf, zwei Tage brauchen Klaus Ferner und seine beiden Mitarbeiter Helmut Willnow und Christian Grille dafür.

Auch die Touri-Gruppen müssen sich in Geduld üben. Bis Anfang März wird die Böttcherstraße von einer ungewohnten Stille geprägt sein. Bis die Glocken wieder da sind, in alter Frische, und ihre Melodien erklingen lassen; Melodien wie „Die große Sehnsucht“ – die dann eben diese bei den Touristen stillen wird.

Michél Dallaserra