: Wo fotografieren sie denn?
■ Touristische Katastrophe oder ausgeklügeltes Marketing-Konzept? Alle Attraktionen der City sind verschwunden / die taz hat's längst geblickt: Das ist alles Absicht
So kann das ja nichts werden mit dem Bremer Tourismus: Das Rathaus verpackt, der Marktplatz aufgerissen, die Sögestraßen-Schweine in Containern eingemottet und das Böttcherstraßen-Glockenspiel auf „Kinderlandverschickung“ in Meißen.
Warum hat „Bremen Marketing“ das nicht verhindert? Erst vor kurzem haben sich die Damen und Herren Gedanken darüber gemacht, ob sie Musical-Werbung in Castrop-Rauxel platzieren sollen. Und jetzt verschwinden rund um den Marktplatz gleich vier wichtige Publikumsmagnete auf einmal? Was bleibt den Touris da noch zu fotografieren? Für Schokoladenwerbung braucht man auch in Wanne-Eickel nur bis in den nächsten Supermarkt zu gehen.
Jetzt sind die Stadtführerinnen gefragt. Jutta Gräbner, die den Einsatz der Damen in Blau bei der Bremer Touristik-Zentrale (BTZ) koordiniert, räumt ein, dass einige BesucherInnen enttäuscht seien, die Rathausfassade nicht zu sehen. „Aber es gibt genug Geschichtchen, die unsere Damen drum herum erzählen können, zum Beispiel von den Schulklassen, die an der Gestaltung beteiligt waren.“ (Details über Bremer Schulklassen statt Weserrenaissance, das zieht bestimmt.) Außerdem bekämen die Städtereisenden einen Film über das Gebäude zu sehen, tröstet Gräbner.
Im Pavillon der Touristik-Zentrale auf dem Liebfrauen-Kirchhof hat Jutta Jessi schon oft Auswärtige erlebt, die Attraktionen nicht finden konnten. Am häufigsten scheiterten sie an den Stadtmusikanten. „Und wenn sie sie dann gesehen haben, waren viele enttäuscht, wie klein die sind“, berichtet Jessi. Ob ein Neuguss der vier Tiere, in doppelter Größe und direkt neben den Roland platziert, Abhilfe schaffen würde? Dann bekämen die Fotografier-Wütigen sogar alles auf ein Bild.
Hinter dem Verschwinden von Schweinen, Regierungssitz und Co. könnte aber auch volle Absicht stecken: Ein Touristen-Paar zeigte sich gestern in der Böttcherstraße zwar enttäuscht vom Istzustand. „Aber dafür kommen wir dann noch mal wieder. Wir sind ja keine Amerikaner, die ganz Europa in zehn Tagen abklappern.“ – Jetzt ist alles klar! Bremen-BesucherInnen müssen häufiger kommen, bis sie alles abgearbeitet, sprich: gesehen haben. Das bringt Übernachtungszahlen. Und solange sie das Rathaus nicht live sehen können, kaufen sie bestimmt schon mal einen Teller mit aufgemaltem Rathaus-Bild.
Gegen Schadenersatzklagen hat sich die BTZ offenbar auch schon abgesichert: Auf dem Titel der Bremen-Broschüre für 2002 prangt dick und fett die bunte Werbe-Plane am Rathaus. Jedenfalls kann niemand sagen, er sei unter Vortäuschung falscher Tatsachen nach Bremen gelockt worden.
Ulrike Bendrat
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen