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Das Schicksal und der böse Wolf

Wolf hat schon gestanden, schweigt aber im Prozess beharrlich – das hat ihm sein Verteidiger geratenWolf wollte seine russische Geliebte nach Deutschland holen, sie träumte von einer Karriere als Model

aus Potsdam KIRSTEN KÜPPERS

Ein dummer Zufall. Eine routinemäßige Verkehrskontrolle, nichts weiter. Hätten die Polizeibeamten den Wagen nicht angehalten, an jenem Abend des 27. September 2000 in Potsdam, wäre die Sache wohl im Sande verlaufen. Ein Mann hätte 5.000 Mark verloren, ein anderer hätte die Sache vergessen, so wäre es gewesen. Es wäre nicht zu diesem Ende gekommen, das den Tiefpunkt vom langen Abstieg des Jochen Wolf markiert, früherer Bauminister im Land Brandenburg. In diesen Tagen wird der Abstieg vor dem Landgericht Potsdam verhandelt und dabei zeigt sich, wie schnell aus einer zufälligen Begegnung eine Tragödie werden kann.

Das Schicksal hat es damals so gewollt, dass die Potsdamer Polizisten den Wagen an den Straßenrand winken, die Papiere des Fahrers kontrollieren und feststellen, dass der kräftige Mann am Steuer nicht der Halter des Fahrzeuges ist, ja nicht einmal einen Führerschein besitzt. Sie haben den Kräftigen mitgenommen auf die Wache, im Computer nachgeguckt und bemerkt, dass er ein Bekannter ist bei den Kollegen in Wuppertal. Der Kleinigkeit, dass der 41-jährige gelernte Stahlbauschlosser und frühere Fremdenlegionär Ralf M. in einer banalen Verkehrskontrolle geschnappt wurde, ist es zu verdanken, dass der ehemalige Minister Wolf sich nun wegen zweifacher versuchter Anstiftung zum Mord an seiner Ehefrau Ursula verantworten muss.

Die Verkehrskontrolle im Herbst 2000 ist der Anfang einer Kette von Beweisen, die der Staatsanwalt zusammengetragen hat. Ralf M. ist demnach der Killer, den der ehemalige Minister angeheuert hat, Ursula Wolf umzubringen. Weil Ralf M. in seinem Leben schon oft „auf der falschen Seite vom Zaun“ operiert hat, wie er zugibt, drohten ihm damals nach Feststellung der Personalien diverse Gefängnisstrafen. Und deswegen redet er.

Ralf M. ist einer, der breitbeinig vor den Richter tritt, ein Schrank von einem Kerl, dessen Narben im Gesicht vermuten lassen, dass er bisweilen die körperliche der geistigen Auseinandersetzung vorzieht. Der Mann aus Wuppertal beginnt zu erzählen, wie der ehemalige Minister ihm in einer Berliner Grünanlage 5.000 Mark „in gemischten Scheinen“ überreicht habe, als Vorschuss für den Mord an seiner Ehefrau. Ralf M. redet und erzählt so detailreich und versessen, wie er es – eine Zukunft im Gefängnis vor Augen – schon bei der Polizei getan hat. Die Kriminalbeamten haben ihm geglaubt. Sie beauftragten den vermeintlichen Killer, Jochen Wolf noch einmal anzurufen, der frühere Minister ist in die Falle getappt und jetzt sieht es vor Gericht nicht gut aus für ihn. Bei einer Verurteilung drohen dem 60-Jährigen bis zu 15 Jahre Haft.

Zu Prozessbeginn war dem ehemaligen Minister der gewohnte Umgang mit dem öffentlichen Interesse noch deutlich anzumerken. Immer wieder stellte sich Wolf geduldig, fast heiter den Blitzlichtern der Fotografen. In Jeans und rotem Wollpullover sah er aus, als ginge es mit der Presse gleich zu einer schönen Partie Golf ins Potsdamer Umland. Die Vorwürfe des Staatsanwalts schienen nicht zu ihm durchzudringen, starr blickte er aus dem Fenster, den Mund leicht spöttisch verzogen. Aber Wolfs Verhalten vor Gericht scheint der Kurve seines Lebens zu folgen, die Sicherheit ist ins Wanken geraten. Inzwischen sitzt Wolf zusammengesunken auf seinem Stuhl, der Kopf scheint zwischen die Schultern gerutscht. Eine getönte Brille sperrt die Umwelt aus, ein optischer Versuch, Überlegenheit zu bewahren, wenn alles von außen Kommende zur Bedrohung gerät.

Dabei hatte für ihn alles hübsch begonnen: eine aussichtsreiche Karriere in den Wirren der Wendezeit. Als Mitbegründer der brandenburgischen SPD war Wolf 1990 in der ersten Landesregierung als Bauminister aufgestiegen. Auch auf den Posten des Regierungschefs hatte er Ambitionen. Als 1992 Stasi-Vorwürfe gegen Landesvater Manfred Stolpe laut wurden, brachte er sich selbst als Kandidat ins Gespräch. Doch statt Stolpe fiel Wolf. Ein Immobilienmakler hatte ihm bei einem Grundstückskauf die Provision erlassen und der Minister hatte sich revanchiert, indem er einen Acker am Rande eines Landschaftsschutzgebietes als Bauland empfahl. Wolf musste 1993 zurücktreten, später erstritt er sich vor Gericht eine Stelle im brandenburgischen Wirtschaftsministerium als Sonderbeauftragter für Projekte in Osteuropa.

Auf einer Dienstreise in die Ukraine lernte Wolf die junge Dolmetscherin Oksana K. kennen. Die Liebe zu der 25 Jahre alten Russin soll der Grund dafür gewesen sein, dass Wolf bereits 1997 mit einem Mittelsmann über den Mord an seiner Ehefrau Ursula gesprochen habe. Wolf wollte seine Geliebte für immer nach Deutschland holen, sie träumte von einer Karriere als Modell, und schaffte es an Wolfs Seite als leicht bekleidete Schönheit in die Boulevardzeitungen.

Für Ursula Wolf waren dies Verletzungen, die sie bis heute nicht verwunden hat. „Ich sollte den Hauspudel machen, und er wollte seine Liebschaft weiterpflegen. Das wollte ich nicht mitmachen“, sagt die 55-Jährige mit stumpfer Stimme vor Gericht, in ihrem Gesicht lauert der Vorwurf langjähriger Enttäuschung, ein Leid, das sie in demonstrative Selbstgerechtigkeit gekehrt hat. Ihren Mann nennt Ursula Wolf „den Angeklagten“. Der Angeklagte, sagt sie, habe gesagt: „Wenn du Krieg willst, sollst du Krieg haben.“

Jochen Wolf reichte mehrmals die Scheidung ein, Ursula Wolf stimmte nicht zu, ihr Mann weigerte sich, Unterhalt zu zahlen, die Schlacht der beiden Eheleute vor Fernsehkameras und Richtern begann, sie waren am Bodensatz der Gefühle angelangt. Ursula Wolf kämpft auf diesem Grund heute noch weiter.

Jochen Wolf indes soll damals schon einem Bekannten 10.000 Mark gegeben haben, damit dieser den Mord an seiner Frau veranlasse, sagt die Staatsanwaltschaft. Der Auftrag wurde nicht ausgeführt, Wolf soll das Geld wiederbekommen haben. Im Dezember 1998 lauerte die Geliebte der Ehefrau im Wald beim Joggen auf. Oksana K. bedrohte Ursula Wolf mit einer Pistole, wollte sie zur Scheidung zwingen, Ursula Wolf konnte sich losreißen und erstattete Anzeige. Kurz darauf hat sich Oksana K. mit Jochen Wolfs Sportpistole in der Badewanne der gemeinsamen Wohnung erschossen. „Er macht mich für ihren Selbstmord verantwortlich“, erzählte Ursula Wolf später der Zeitschrift Superillu.

„Der Tod von Oksana hat ihn sehr, sehr getroffen“, sagt eine frühere Arbeitskollegin Wolfs, die als Zeugin geladen ist. Mehr als einmal habe er erklärt, er würde seiner Frau „am liebsten den Hals umdrehen“, erinnert sich eine ehemalige Bekannte Wolfs.

Frühere Freunde erzählen im Zeugenstand auch von den emotionalen Ausbrüchen, die Wolf zu jener Zeit hatte. Demnach hat der ehemalige Minister oft und viel geklagt, über die Scheidung, das Geld, seine Frau; Wolf fühlte sich verfolgt, verstieg sich in politische Verschwörungstheorien, witterte Intrigen. Offenbar war er mittlerweile tief genug in die Halbwelt gerutscht, dass er von der Existenz jener Menschen wusste, die schwer wiegende Probleme gegen die Summe von 15.000 Mark lösen. Sein Arbeitskollege André D., mit dem Wolf beim Wirtschaftsministerium ein Büro teilte, soll für ihn den Kontakt zu Ralf M. hergestellt haben. Die Verkehrskontrolle führte dazu, dass der Auftrag aufflog, nachdem 5.000 Mark bereits geflossen waren.

Unter Anleitung der Polizei arrangierte Ralf M. im Sommer letzten Jahres telefonisch ein Treffen mit Wolf am Berliner Bahnhof Zoo, wo das restliche Geld übergeben werden sollte. „Hör zu, ich hab deine Frau erledigt“, hatte Ralf M. Jochen Wolf erzählt. Der wollte Beweise: „Ich zahle erst, wenn ich definitiv weiß, dass das Problem beseitigt ist.“ Auf Tonbändern hat die Polizei alles mitgeschnitten. Am 27. Juli vergangenen Jahres wurde Wolf am Bahnhof Zoo verhaftet.

Bei seiner Vernehmung hat der ehemalige Minister gestanden. Im Prozess schweigt er dagegen beharrlich, das hat ihm sein Verteidiger geraten. Der Anwalt will auf Freispruch plädieren. Nach dem derzeitigen Stand der Verhandlung stehen die Chancen dafür schlecht. Das weiß auch Jochen Wolf. Die Aussage des Zeugen Ralf M. hat die Sicherheit der ersten Prozesstage zum Einsturz gebracht. Inzwischen wirkt er, als hätte er den Kampf um seine Existenz beinahe aufgegeben. Die Stirn glänzt, der Blick ist gesenkt, die Hände tasten nervös am Hosenbein.

Das Pech des Jochen Wolf mag es gewesen sein, nach einer Reihe selbst verschuldeter Verfehlungen an einen Mann wie Ralf M. geraten zu sein. Ein Betrüger aus dem Wuppertaler Türstehermilieu, der nach eigener Aussage nie vorhatte, den Auftrag wirklich auszuführen. „Das Geld abgreifen und verschwinden“, so beschreibt er seinen Plan. Einer, der wenn es darauf ankommt, bei der Polizei nicht dichthält. Das Pech des Jochen Wolf war demnach das Glück seiner Ehefrau.

Vor Gericht berichtet Ursula Wolf, wie freundlich Ralf M. gewesen sei, als er, als Landschaftsgärtner verkleidet und von Jochen Wolf mit einem falschen Ausweis einer Gartenbaufirma ausgestattet, bei ihr zu Hause das Gelände inspizierte. Sie habe ihn in die Küche zum Kaffee eingeladen und von ihren Eheproblemen erzählt. Auch Ralf M. hat der Besuch damals gefallen: „Ich habe mich fantastisch mit ihr unterhalten“, umbringen wollte er sie nicht, meint er.

Das Pech oder Glück dieses gescheiterten Unternehmens, je nachdem, ist also in der Person des Ganoven Ralf M. zu suchen. Wäre die Verkehrskontrolle nicht gewesen, hätte ein Mann vermutlich einfach 5.000 Mark verloren, ein anderer hätte die Sache vergessen. Der Prozess wird heute fortgesetzt. Ein Urteil wird Ende des Monats erwartet.

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