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Jasager und Neinsager

Okkupation, Résistance, Kollaboration: Bertrand Tavernier betreibt in „Laisser-passer“ (Wettbewerb) opulente Geschichtsaufarbeitung ohne Helden und Gut-Böse-Schema. Dennoch wurde er verklagt

von DOROTHEA HAHN

Siebenundfünfzig Jahre sind seit der „Libération“ – der Befreiung Frankreichs von den Nazis – vergangen. Mehr als ein halbes Jahrhundert. Für die offiziellen Europäer ist es längst Zeit, „weiterzublättern“. Zeit, sagen sie, in die Zukunft zu schauen, statt weiter über die Vergangenheit und über „alte Geschichten“ zu reden.

Bertrand Tavernier ist anders. Er hat das neue Jahrhundert abgewartet, um einen Film zu veröffentlichen, in dessen Mittelpunkt jene Altvorderen des französischen Kinos stehen, die Widerstand geleistet haben. „Laissez-passer“ ist eine Liebeserklärung des französischen Filmemachers an jene Regisseure, Drehbuchautoren, Schauspieler und Techniker des Kinos, die sich gegen die deutschen Besatzer entschieden haben.

Im Mittelpunkt des Films, der heute auf der Berlinale anläuft, steht die Geschichte von zwei Männern. Der eine, Schriftsteller und Drehbuchautor, Jean Aurenche, sagt „nein“, wann immer die Nazis ihn vereinnahmen wollen. Um trotzdem weiterschreiben zu können und um seine Ruhe zu haben, schlüpft er bei immer neuen Maitressen unter.

Der andere, Regisseur Jean Devaivre, geht in die Höhle des Löwen. Er verdingt sich bei „La Continentale“, um weiter Filme zu drehen und um im vermeintlichen Schutz des großen Nazi-Produktionsunternehmens Flugblätter gegen die Besatzer verteilen und Sabotageakte organisieren zu können. Keiner der beiden Männer gehört einer Organisation an. Keiner hat ein klares ideologisches Schema im Kopf. „Ich will, dass sie abhauen“, sagt Devaivre, als er nachts mit einem Unbekannten unterwegs ist, um eine Lokomotive zu sprengen. Der Unbekannte hat ihn gefragt: „Warum tust du das?“.

Drehbuchautor Aurenche schreit im Suff seinen Hass gegen die Antisemiten heraus. Er tut das bei einem mondänen Essen gegenüber einem Hehler, der die bei deportierten Juden geplünderten Antiquitäten verhökert.

Taverniers Hauptfiguren sind keine Helden. Es sind gewöhnliche Leute, die umgeben sind von gewöhnlichen Leuten. Sie leben einen Alltag, in dem rings um die Studios von Boulogne Bomben fallen. In dem die jungen Männer zur Zwangsarbeit ins Reich verpflichtet werden. In dem Lebensmittel rationiert sind. Und in dem Busse voller bleicher Gestalten mit gelben Sternen am Revers durch Paris transportiert werden. Von dem Gut-Böse-Schema, das jahrzehntelang Kriegsfilme in Frankreich, Großbritannien und den USA bestimmte, ist „Laissez-passer“ Lichtjahre entfernt. Auch mit der Heroisierung der Kämpfer im realsozialistischen Kino hat er nichts gemein. Bei Tavernier gibt es Franzosen, die mutige individuelle Entscheidungen gefällt haben, und solche, die sich anbiedern, durchpfuschen oder abtauchen.

Neben den Individuen sind auch die großen Referenzen der Besatzungsgeschichte bei Tavernier voller Widersprüche. Weder die von London und General de Gaulle organisierte bürgerliche Résistance, noch die kommunistische Résistance kommen bei ihm ungeschoren davon. Selbst der deutsche Chef von „La Continentale“, die im besetzen Paris eine nie dagewesene Menge von Filmen produziert, Doktor Greven, ist eine vielschichtige Person. Er ist kein NS-Gegner. Aber er benutzt die Hitlerbüste in seinem Büro als Mantelablage.

Eine einzige Person hat klare Prinzipien, denen sie bis zum Schluss treu ist. Regieassistent Jean-Paul Le Chanois, der vor der deutschen Invasion Dreyfus hieß, ist Jude und Kommunist. Selbst als seine Partei ihn fallen lässt, bleibt er dem kleinen Netz aus Freunden und Résistants, das er in den Studios von „La Continentale“ aufgebaut hat, treu. Im Film hat er eine Nebenrolle. Die Fülle von Geschichten, Schicksalen und Schauplätzen macht „Laissez-passer“ zu einem schwierigen Film. Mit 2 Stunden und 50 Minuten ist er lang. Mit insgesamt 115 sprechenden Personen ist er prall gefüllt. Wie oft, hat Tavernier die Fülle, die Komplexität gewählt. Er macht es schwer, die Geschichte in den Geschichten, die einzelne Person in der Menge zu entdecken. Ganz selten nur gönnt er den Zuschauern lange Szenen, die das genaue Hinschauen, das Eintauchen in eine Landschaft, das Mitfühlen mit einer Person gestatten.

In Frankreich ist der Film, der am 9. Januar in die Kinos kam, ein Erfolg. Bis heute sind die Säle ausverkauft. Entgegen den Beteuerungen der offiziellen Europäer ist das Kapitel des NS-Regimes, der Besatzung und des Widerstandes noch lange nicht „umgeblättert“. Tavernier, der schon in früheren Filmen ein feines Gespür zeigte für Themen, die neu und anders aufgerollt werden müssen, hat wieder einmal einen Nerv getroffen. Schon bevor der Film in die Kinos kam, machte „Laissez-passer“ mit einer schmerzhaften juristischen Episode von sich reden. Taverniers langjähriger Weggefährte, der Filmemacher Jean Devaivre klagte. Devaivre, dessen in Buchform veröffentlichtes Leben in der Okkupation der Filmgeschichte ursprünglich zugrunde liegt, fühlte sich um seine Geschichte betrogen. Tavernier betonte, dass er Devaivres Geschichte in seinem Film mit zahlreichen anderen bereichert und verfremdet hat. Anfang Januar versuchte Devaivre, ein Verbot des Films zu erwirken. Tavernier habe, so seine Klage, „die historische Wahrheit“ seiner Person deformiert. Das Gericht gab dem Kläger nur teilweise recht. Es verpflichtete Tavernier, den Namen von Devaivre als Koautor im Vorspann aufzunehmen.

„Laissez-passer“. Regie Bertrand Tavernier. Frankreich, 2001, 170 Min.

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