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Dr. Stoiber sucht einen Schinken

„Essen Sie auch Ostprodukte?“, wird Edmund Stoiber in Mecklenburg-Vorpommern gefragt. Da ist der Bayer sprachlos. Aber nur für eine Minute

aus Neubrandenburg JENS KÖNIG

„So“, sagt Edmund Stoiber, als er in Trollenhagen aus dem Flugzeug steigt. Dieses eine, kleine Wort erklärt vielleicht schon alles. Der bayerische Ministerpräsident landet mit einem Charter-Flugzeug in Mecklenburg-Vorpommern, auf einem kleinen Flughafen vor den Toren Neubrandenburgs, und das Erste, was er sagt, ist: So. Die lokalen CDU-Größen, die den Kanzlerkandidaten zu seinem Antrittsbesuch in Ostdeutschland empfangen, gucken etwas unsicher. Was heißt das jetzt: So? Ist das ein bayerischer Gruß? Eine geheime Botschaft aus München? Will Stoiber zuerst vielleicht den Boden küssen, wie der Papst?

Paul Krüger geht auf Stoiber zu und gibt ihm die Hand. „Wir kennen uns“, sagt Krüger, den außerhalb von Neubrandenburg keiner kennt, obwohl er zu Kohls Zeiten mal Forschungsminister in Bonn war. „Na klar“, sagt Stoiber und lacht. „Wie geht’s Ihnen?“ Er hat vermutlich keine Ahnung, wer dieser Krüger ist. „Na ja“, antwortet Krüger, der inzwischen Neubrandenburgs Oberbürgermeister ist, „wir haben hier viele Probleme.“ Stoiber lacht immer noch. „Schön“, sagt er. „Dann wollen wir mal.“

Drinnen in der Halle des Flugzeugbauers OMF steht Michael Spreng und gibt ein Interview nach dem anderen. Spreng ist nicht zu übersehen. Er ist mindestens einen Kopf größer als alle Journalisten. Spreng ist Stoibers Medienberater. „Herr Stoiber kommt nach Ostdeutschland, um sich zu informieren“, sagt er in jedes Mikrofon. „Er will zuhören, er will die Probleme kennen lernen.“

Spreng ist Profi. Er weiß, was er sagen muss, wenn sein Chef zum ersten Mal als Kanzlerkandidat in den Osten reist. „Stoiber kommt nicht als Besserwessi, der schon alles weiß. Er will vom Osten lernen“, sagt Spreng. Nach dem zehnten Interview wird er etwas unwirsch. „Darf ich Sie darauf hinweisen, dass es hier nicht um mich, sondern um den Ministerpräsidenten geht“, weist er einen Fernsehmann vom Bayerischen Rundfunk zurecht. „Natürlich“, antwortet der Reporter, „den Besuch des Herrn Ministerpräsidenten werden wir selbstverständlich würdigen.“

Der Herr Ministerpräsident ist immer noch draußen auf dem Flughafen. Er kämpft sich durch den Medientross. In Trollenhagen sind an diesem Mittwoch mehr Journalisten als in Kabul. Endlich kommt die Frage, auf die Stoiber gewartet hat. Schließlich ist er nicht zufällig hier, an diesem Ort, der mit 24,5 Prozent die höchste Arbeitslosenquote in ganz Deutschland hat. „Wie finden Sie die neuesten Arbeitslosenzahlen?“, will einer von ihm wissen. Stoibers Miene wird schlagartig ernst. „Das ist ein bedrückender Tag für Deutschland“, sagt er. Dann folgt ein Vortrag, den ihm seine Leute aus der Staatskanzlei geschrieben haben. Worte wie „Selbstständigenquote“ und „Körperschaftssteuer“ fliegen durch die Luft. Stoiber weiß alles: Dass Mecklenburg-Vorpommern 180.000 Arbeitslose hat, im Jahre 2001 nur noch 2.900 neue Betriebe gegründet wurden und jede Woche 100 junge Leute das Land verlassen. Wahrscheinlich hat er sogar das Mecklenburger Telefonbuch auswendig gelernt.

Und da er einmal in Fahrt ist, macht er auch gleich noch ein paar Vorschläge. „Mehr Investitionen sind notwendig“, sagt Stoiber. „Wir brauchen hier in Mecklenburg mehr mittelständische Unternehmen. Wir brauchen hier eine Stimmung des Aufbruchs und der Zuversicht.“ Fünfzehn Minuten geht das so. Stoiber holt nicht ein einziges Mal Luft. Nur sein rechter Zeigefinger schießt ab und zu in Richtung der vielen Kameras.

Eigentlich könnte Stoiber seinen Besuch jetzt abbrechen. Er hat alles gesagt. Die Bilder sind im Kasten. Aber er muss ja noch zuhören. Er muss das kennen lernen, worüber er schon alles weiß. „Wie ist das so, wenn man hier Arbeit hat?“, fragt Stoiber einen Arbeiter. „Gut“, antwortet der, „aber wenn man seine Arbeit verliert, ist man weg vom Fenster.“

Stoiber nickt. „Bayern war auch mal ein armes Land“, sagt er. „Aber heute, nach dreißig Jahren, sind wir in der Spitzengruppe.“

Stoiber spricht mit Lehrlingen und Arbeitern dieses gut gehenden Unternehmens, das seine Sportflugzeuge bis in die USA verkauft. Bei jedem bleibt er ein, zwei Minuten stehen. Wenn er zuhört, legt er seinen Kopf schief. Er wirkt konzentriert. Er macht keine Scherze wie Schröder. „Schieb den Ministerpräsidenten da rüber, damit der NDR gute Bilder bekommt“, ruft plötzlich einer von Stoibers Leuten zu Spreng, „gerade der linke NDR muss sehen, dass Stoiber hier gut ankommt.“ Zum Abschluss formiert sich Stoiber mit den Flugzeugbauern zu einem Gruppenbild. Dann noch ein Statement für die Medien. Zehn Minuten redet nur einer. Stoiber. Über Schröder, den blauen Brief aus Brüssel, den Skandal der Bundesanstalt für Arbeit. „Ich mache als Kanzlerkandidat das, was ich mein ganzes Leben lang getan habe“, sagt Stoiber. „Ich gehe zu den Menschen und höre ihnen zu.“

Die nächste Station ist die Tollense Fahrzeug- und Anlagenbau GmbH in Neubrandenburg. Das Unternehmen befindet sich in Insolvenz. Mehrere Jahre hatten die Mitarbeiter auf Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichtet, um ihren Betrieb zu retten. Stoiber redet eine halbe Stunde mit der Geschäftsführung, dann drei Minuten mit den Arbeitern. „Wie lange arbeiten Sie schon hier?“, fragt er einen von ihnen. „Dreißig Jahre“, antwortet er. „Dreißig Jahre“, wiederholt Stoiber und nickt mit dem Kopf.

Dann steigt er auf eine kleine Bühne. Wieder eine Rede. „Mir wird immer bewusster, dass die Menschen in den neuen Ländern motiviert und leistungsbereit sind“, sagt er. Die Beschäftigten stehen stumm vor dem Holzpodium. Sie haben dreckverschmierte Klamotten an und die Arme vor der Brust verschränkt. „Wenn Sie Fragen haben, nehme ich die gern entgegen“, sagt Stoiber. Keine Fragen.

Kein Problem. Stoiber redet einfach weiter. „Ich betrachte mich nicht als Sanierer dieses Unternehmens. Aber ich nehme von hier ein paar Informationen mit und werde diese weiterleiten.“ Plötzlich unterbricht Stoiber, ein Mitarbeiter flüstert ihm etwas ins Ohr. „Ich muss jetzt los, höre ich“, sagt er.

„Ich glaube, es ist nicht zu vermessen“, antwortet der Geschäftsführer, „mich im Namen der Belegschaft für ihren Besuch zu bedanken.“ Der Beifall für den Besucher aus Bayern fällt nur spärlich aus.

Stoiber muss weiter. Ein Gespräch bei der Regionalzeitung und ein Hörerforum im Radio. „Mecklenburg-Vorpommern ist ein Touristen-Highlight“, sagt Stoiber, „noch besser als Bayern.“ Nur einmal fällt er aus seiner Rolle. Was er denn so esse und trinke, wird Stoiber bei der Regionalzeitung gefragt, ob auch Produkte aus Ostdeutschland dabei seien. „Ja, was trinke ich?“, setzt Stoiber an. „Bier und Wein. Ja, und essen?“ Kurze Pause. „Fisch. Und Schweinebraten.“ Wieder Pause. „Aber bei meinen Produkten habe ich keine Regionalbezogenheit.“

Dann wird Stoiber für eine Minute ganz still. Er denkt nach. Plötzlich fragt er: „Habt ihr hier auch Katenschinken?“

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