: Wir sind alle Geistheiler
■ Ein Gespräch mit dem Dokumentarfilmer Clemens Kuby über Schamanismus, Illusion und den Film „Unterwegs in die nächste Dimension“
Mittags um halb Eins: Mit wehendem Mantel kommt Clemens Kuby in das Cinema, bestellt Kaffee, setzt sich. Gerade käme er aus Oldenburg, sagt er, sieht aber aus, als hätte er einen Wellness-Urlaub im fernen Süden hinter sich. Aber die Frage verbietet sich – Kuby legt vorher los.
Clemens Kuby: Soll ich Ihnen was erzählen? In jeder deutschen Stadt melden sich nach der Vorstellung Leute die sagen: Ich bin auch Heiler, ich bin auch Schamane, alles, was sie hier zeigen, mache ich auch. Ich habe ja vorher gedacht, Schamanismus ist etwas ganz exotisches und ich muss in ganz ferne Länder fahren, damit ich das mal kennen lernen kann. Es wimmelt von diesen Leuten, auch bei uns.
taz: Tatsächlich?
Die sagen: „Klar, wir benutzen auch unsere Tricks um den Patienten zu suggerieren: Das hilft dir.“ Wobei: Tricks ist ein unschönes, beleidigendes Wort. Sie können ja auch nicht zu einem Schauspieler sagen: „Du mit deinen Tricks.“ Schamanen arbeiten genau wie Schauspieler auf den Effekt hin, sie sind im Grunde Performance-Künstler. Sie bewirken, dass die Botenstoffe des Gehirns mobilisiert werden, dass ein chemischer Impuls vom Gehirn ausgeht und körperliche Reaktionen hervorruft. Die Medizin kennt das, sie nennt das Spontanheilung.
Schamanismus ist also Illusion?
Ja, natürlich.
Verbindet sich mit ihrem Film ein Sendungsbewusstsein?
Also mein Traum wäre, dass es in Deutschland irgendwann genausoviel offiziell anerkannte Schamanen – oder sagen wir: Energiearbeiter – gibt wie niedergelassene Ärzte. Wir alle haben ja diese Fähigkeit, durch Imagination reale Reaktionen auszulösen. Aber das ist eine intuitive Fähigkeit, die wird bei uns nicht geschult. Dafür brauchen wir Lehrer. Auch bei uns. In Bremen, da mache ich jede Wette, gibt's Schamanen en masse. Und diese Leute müssen sich outen dürfen. Da darf es nicht heißen: Ab in die Klapse. Das ist mein Sendungsbewusstsein.
Damit hätten auch Scharlatane freie Hand.
Scharlatane gibt's für mich nicht. Das Problem ist nicht existent. Es gibt nur Leute, die können besser Performance machen und andere können das schlechter.
Dann sind wir alle Geistheiler.
Genau. Ein Schamane ist für mich ein „Seelenpfleger“. Medizinisch macht der kaum etwas. Aber er geht direkt auf mein Seelenleben zu. Er spricht im Grunde gleich das Kind in mir an, wie ein sehr guter Psychologe.
Sie reden vom „Sprechen“. Aber keine der Therapieformen, die sie im Film zeigen, basiert auf dem gesprochenen Wort.
Doch, die haben vorher immer lange mit uns gesprochen. Das ist bloß nicht filmisch. Im Film nimmt man halt die Action.
Wie haben die Schamanen auf die Anwesenheit der Kamera reagiert?
Gar nicht. Das hat mich am meisten gewundert.
Was sagen sie zu dem Kritiker-Vorwurf, sie hätten in diesem Film jegliche kritische Distanz aufgeben?
Da hat der Kritiker das Grundkonzept, warum Schamanen wirken können, nicht kapiert. Wenn ich einem Heiler gegenüber total skeptisch bin, dann passiert nichts. Der wird sagen: Dann geh' doch wieder nach Hause. Man muss schon offen sein.
Der Film heißt „Unterwegs in die nächste Dimension“. Was wäre denn nötig, um in dieser Dimension anzukommen?
Manche Zuschauer sagen mir: „Es geht in dem Film gar nicht um den einzelnen Schamanen. Das habe ich sofort kapiert. Du formulierst in dem Film eine Kraft, die spüre ich in mir selber. Und das tut wahnsinnig gut.“ Also die Leute heulen ja vor Rührung im Film. Insofern kommen die bei sich an.
Seitdem der Film angelaufen ist, klingelt bei Ihnen ständig das Telefon und die Leute wollen wissen, wo sie sich heilen lassen können. Was sagen sie denen?
Ich bin der Meinung: Die Hälfte des Heilungsprozesses ist schon der Entschluss, ihn durchzusetzen. Und es gehört zum Heilungsprozess, dass man selbst den Weg sucht. Und nicht bei mir anruft und sagt: „Herr Kuby, nennen Sie mir mal einen ganz seriösen Schamanen. Kann ruhig auch ein bisschen billiger sein.“ Fragen: Klaus Irler
Zehn Filme in zehn Jahren hat Clemens Kuby über den tibetischen Buddhismus gedreht, der erfolgreichteste war „Living Buddha“. Für „Unterwegs in die nächste Dimension“ besuchte Kuby Schamanen, Geistheiler und spirituelle Lehrern. „Wir haben vergessen, dass wir in erster Linie geistige und nicht körperliche Wesen sind“ stellt Kuby fest. Kritiker werfen ihm einen „naiv zivilisationkritischen Ton“ vor. Der Film läuft tägl. um 18.45 Uhr im Cinema, Sonntag auch um 15.15 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen