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Dämmerung auf dem Land

Freiluftmuseum mit ABM-Kräften: Volker Koepps „Uckermark“ (Forum) ist eine Entdeckungsreise durch eine deutsche Erinnerungslandschaft mit ihren Bewohnern, Exjunkern wie Exkommunisten

von STEFAN REINECKE

Im Stellwerk des Gerswalder Bahnhofs steht ein großer, alter Mann mit energischem Blick. Er heißt Adolf Heinrich von Arnim und hat kürzlich eine gut vierzig Jahre Jüngere, eine Mitarbeiterin des Brecht-Archivs, geheiratet. Man traf sich im Zug, und die Ostberlinerin hat ihn geheiratet, weil sie Fontane liebt und ihr dieser alte von Arnim wie eine Figur aus dem „Stechlin“ vorkam.

Adolf Heinrich schaut in die Kamera und sagt: „Ich bin 84 Jahre alt, aber ich habe noch einiges vor mir.“ Momentan hat er Sorgen, und zwar betreffs der Vernetzung des Nahverkehrs. In Gerswalde halten zwar wieder ein paar Züge, aber die Busse warten nicht immer auf die Zuggäste. „Das muss anders werden“, sagt von Armin, der Mitglied bei Pro Bahn, Greenpeace, Robin Wood und noch einem Dutzend anderer Organisationen ist. „Anschluss muss sein“, sagt er. So wie in seiner Jugend, vor siebzig Jahren, als man in Gerswalde ja auch anständig umsteigen konnte. Die Stellwerkstechnik stammt noch aus dem Königreich Preußen, von 1907. Es gibt viel Geschichte in der Uckermark. Aber wenig Anschluss an die Gegenwart.

Adolf Heinrich von Arnim ist einer von ein paar Adeligen, die in die Uckermark zurückgekehrt sind. Doch das Ganze hat nichts von der Revanche verjagter Junker. Sie sind eher aus der Zeit Gefallene, die den leicht schrulligen Versuch unternehmen, versunkene Traditionen zu retten. Das ist sympathisch, wie alles im Grunde Vergebliche.

Nicht weit von Gerswalde wohnt der frühere Bauer, der frühere Kommunist und Ex-Theatermann Fritz Marquardt. Er könnte der heimliche Kontrahent des früheren Bonner Ministerialjuristen von Armin sein. Aber sie sind keine Gegner, sie verkörpern eher unterschiedliche historische Ablagerungen, verschiedene Arten historischer Untergänge. Die Westadeligen, die tapfer vor den bröckelnden Fassaden ihrer ruinierten Gutshäuser posieren, wirken wie Beweise, dass der Kältestrom des ostelbischen Junkertums, der mitschuldig an den deutschen Katastrophen bis 1945 war, endgültig versiegt ist. Und Marquardt sagt mit knorriger Altersmelancholie: „Der Kommunismus ist eine bequeme Religion für Intellektuelle.“

Volker Koepp hat auch schon zu DDR-Zeiten Landschaftsportäts gedreht: 1976 über Häsen, ein Dorf in Brandenburg, 1982 über Rheinsberg. Die Orte wurden dabei stets als historische Räume ausgeleuchtet, Geschichte als sperriges Eigenes gezeigt. Schon das war ein subtiles Korrekturzeichen gegen die donnernden sozialistischen Aufbau- und Fortschrittsparolen.

Auch „Uckermark“ umkreist die Gegenwart des Vergangenen. Das hat nichts mit Nostalgie zu tun, eher mit einer Haltung realistischer Wehmut. Koepp zeigt eine Landschaft, in der es vielleicht einfach zu viel Geschichte gibt, eine Art Freiluftmuseum mit ABM-Kräften. Ein paar Frauen sammeln auf einem Feld Scherben, archäologische Funde vielleicht. Viel Sinn macht das nicht, aber „zu Hause rumsitzen ist zu trist“, sagt eine. Früher waren sie Betonwerkerinnen, Erzieherinnen und Blumenverkäufer. Jetzt werden sie nicht mehr gebraucht.

Zwei Rentner hocken auf einer Bank und erzählen, stockend, mit vielen, vielen Pausen, die Geschichte des Dorfes. Kurz vor dem Mauerbau floh das halbe Dorf vor der Zwangskollektivierung nach Kanada. Aber „so toll ist es da auch nicht“, meint einer. Als die LPG kam, da hat sich mancher Altbauer einen Strick genommen. Das war die erste Enteignung. 1990 kam die zweite, als sie der Liquidation der LPG zustimmten. „Wir wussten gar nicht, was das ist“, sagen sie.

„Uckermark“ entwirft das entspannte Porträt einer historisch aufgeladenen Gegend, ohne Idyllmalerei, ohne etwas beweisen zu wollen. Kameramann Thomas Plenert zeigt in langen, ruhigen Fahrten Bilder, ruhig und schön wie Stillleben: Heuballen auf leeren Feldern, Schneelandschaften mit weitem Horizont.

„Jetzt ist Restaurationszeit“, sagt Marquardt, der als Bauer vor fünfzig Jahren im Oderbruch noch hinter Pferd und Pflug herlief. Und er variiert den Marx-Satz von der Geschichte, in der die Tragödie als Farce wiederkehrt. Es ist eher eine Tragikomödie, sagt Theatermann Marquardt. Das ist der letzte Satz des Films. Aber er stimmt vielleicht nicht. „Uckermark“ zeigt eine Landschaft im Abendlicht, in der die Geschichte mit großem G, die Historie von Macht, Unterdrückung und Ideologie, die oft genug Terror war, zu Ende gegangen ist. Unwiderruflich, ohne Wiederkehr.

„Uckermark“. Regie: Wolfgang Koepp. Deutschland, 105 Min.

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