piwik no script img

Scharfe Patronen

„Militante Gruppe“ schickt Drohbrief mit scharfer Patrone an Reinickendorfer Sozialstadtrat. Staatsschutz ermittelt

Die Warnung ist eindringlich. Am Mittwoch bekam der Sozialstadtrat von Reinickendorf, Frank Balzer (CDU), einen Brief mit einer scharfen Patrone und einem Messer. In dem von einer „militanten Gruppe“ verfassten Schreiben wird Balzer als „Personifizierung des alltäglichen Sozialamtsterrors“ bezeichnet. Zudem bekennt sich die Gruppe zu einem Brandanschlag. Der Staatsschutz ermittelt.

In der Nacht von Montag auf Dienstag hatten Unbekannte versucht, eine Eingangstür des Sozialamtes mit einem Brandsatz anzuzünden. Doch das Feuer erlosch, ohne großen Schaden anzurichten. Der Anschlag galt, so heißt es in der 6-seitigen, der taz vorliegenden „Anschlagserklärung“, der „arbeitstechnischen Infrastruktur des Sozialamtes und […] Stadtrat Frank Balzer“.

Seit der CDU-Politiker im November 1998 das Sozialressort übernommen hatte, wurde er wegen seines harten Kurses wiederholt heftig kritisert. Er hatte einen Prüf- und Ermittlungsdienst zur Aufdeckung von Sozialmissbrauch eingeführt und eine restriktivere Haltung der Behörde bei der Übernahme von Mietschulden verfügt. Kritiker warfen ihm vor, diese Praxis stehe im Widerspruch zum Bundessozialhilfegesetz, wonach Wohnungslosigkeit möglichst zu vermeiden ist. Balzer rechtfertigte seine harte Linie damit, dass das Amt dadurch Geld spare.

Es ist nicht das erste Mal, dass der 37-Jährige Sozialstadtrat Ziel eines Anschlags wurde. Vor zwei Jahren wurde der Wagen seiner Frau durch einen Zündsatz schwer beschädigt. Die Polizei ging von einer politisch motivierten Straftat aus. Die Ermittlungen des Staatsschutzes verliefen im Sande. Der Sozialstadtrat wollte sich gestern gegenüber der Presse nicht äußern. Bezirksbürgermeisterin Marlies Wanjura (CDU) sagte zur taz: „Wenn man die Chronologie der Drohungen betrachtet, muss man das ernst nehmen.“ Wanjura wehrt sich gegen die „pauschalen Anschuldigungen“ gegen das Sozialamt. „Die, die sich nicht gerecht behandelt fühlen, können Rechtsmittel einlegen“, sagte sie. Und: „Zu 99 Prozent wird uns Recht gegeben.“ An der Praxis der Aufdeckung von Sozialhilfemissbrauch werde das Sozialamt weiter festhalten. Wanjura appellierte an die unbekannten Täter, „den normalen Weg von Gesprächen“ zu suchen.

Die „militante Gruppe“ hatte im Juni 2001 Drohbriefe mit scharfen Patronen an führende Vertreter der Stiftungsinitiative zur Zwangsarbeiterentschädigung geschickt und sich zu einem Brandanschlag auf eine Niederlassung des DaimlerChrysler-Konzerns in Marienfelde bekannt. Beide Aktionen, so heißt es in dem jüngsten Bekennerschreiben, stünden „für den Aufbau eines theoretisch reflektierten und praktisch umsetzbaren Widerstandskonzepts“.

B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen