: Von hier bis zur Ewigkeit
Der Tod der Mutter erzählt sich in „Minor Mishaps“ (Wettbewerb) als untergründige Hysterie
Mit dem Tod ist es komisch. Einerseits ist er das Gewöhnlichste, andererseits wird er in seiner Banalität, seinen ganz gewöhnlichen Auswirkungen, eher selten im Film repräsentiert. Im Film stirbt man im Allgemeinen durch äußere Gewalt oder an Aids. Jeder Tote gilt als Opfer von diesem oder jenem; deshalb wird der normale Tod im Film eher selten thematisiert.
„Små Ulykker“ (Kleine Missgeschicke), der dänische Wettbewerbsfilm von Annette K. Olesen, erzählt sehr präzise, humorvoll und warmherzig von den Auswirkungen, die der plötzliche Tod der Mutter auf die übrig gebliebenen Mitglieder der Familie hat. Ihr Tod stellt – wie jeder Tod – die Lebenseinrichtung der anderen infrage: John (Jørgen Kill), der Witwer, ein etwa 70-jähriger Arzt und überzeugender Charmeur, der für die Familie nie so richtig Verantwortung übernommen hatte, bemüht sich, lustig zu bleiben und seinen Schmerz mit Arbeit zu betäuben.
Marianne (Maria Würgler Rich), die schüchterne 29-jährige Tochter, die immer noch bei ihren Eltern lebt und noch nie gearbeitet hat, flüchtet einerseits in die Rolle der liebenden Tochter, macht ihm Essen, setzt sich nach anfänglichem Zögern auf den Sofaplatz der Mutter; andererseits nimmt sie einen Job an und beginnt sich mit einem Arbeitskollegen anzufreunden. Eva (Jannie Faurschou), die älteste Tochter mit künstlerischen Neigungen, das schwarze Schaf der Familie, ist eifersüchtig auf ihre junge Schwester. Am Rande der Beerdigung, bei der es immer ein kleines Missgeschick gibt, kifft sie mit ihrem Bruder Søren (Jesper Christensen), der wegen Arthritis zum Frührentner wurde und die meiste Zeit auf dem Sofa liegt und fernsieht, was seine Frau ihm übel nimmt.
Der Tod stellt das Leben eines jeden in Frage. Die Erschütterungen sind mal mehr, mal weniger spektakulär – Ehekrisen, Identitätsprobleme, Inzestverdacht. Die große Tochter verdächtigt ihre kleine Schwester mit dem Vater zu schlafen, was den Film dann wieder voranbringt.
„Små Ulykker“ beeindruckt vor allem im Unspektakulären. Kein einziges Mal wird über den Tod gesprochen. Als kleine Hysterie, die oft auch sehr komisch ist – Tod und Lachen sind miteinander verwandt – liegt er aber unter jeder Handlung, unter jedem Dialog. Schön an dänischen Filmen ist, dass man die hervorragenden Schauspieler immer schon bei Lars von Trier gesehen hat.
DETLEF KUHLBRODT
„Små Ulykker“. Regie: Annette K. Olesen. Dänemark 2002, 109 Min.
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