: Sich selbst näher kommen
Teil 3 der Serie über die unterschiedliche Wahrnehmung von Islam und Kunst. Die 30-jährigeDJane Ipek respektiert die Fastenzeit, hält sich aber selbst nicht daran. Den Koran küsst sie trotzdem
von SUSAN KAMEL
Ich war Asket, doch du ließest mich Lieder sagen, des Gastmahls Trubel und dem Wein nachjagen. Sahst mich einst betend auf dem Teppich sitzend. Lässt mich nun kindlich spielen ohne Zagen!
In zahlreichen Versen wie diesen beschrieb Jalaluddin Rumi, der persische Mystiker und Gründer des Sufi-Ordens der tanzenden Derwische, im 13. Jahrhundert seine Sehnsucht und Liebe zu Gott. Die Legende besagt, dass die Liebesschwüre auch seinem Freund Shamsuddin galten. Der wurde ermordet, als die Liaison aufflog.
Die 30-jährige Ipek muss heute in Berlin-Kreuzberg nicht um ihr Leben fürchten, obwohl sie eine Frau liebt. Mit ihr habe ich mich über das Fastengebot, die dritte Säule des Islam, unterhalten und gemeinsam ein andalusisches Koranblatt aus dem Museum für Islamische Kunst angeschaut.
„Zum ersten Mal habe ich mit zwölf Jahren versucht, ernsthaft zu fasten“, so Ipek, „aber als kleiner Vielfraß habe ich immer aufgeben müssen.“
Als zugezogene Münchnerin mit türkisch-sunnitischen Eltern lebt die Sozialpädagogin und DJane seit zwanzig Jahren in Berlin. Jeden letzten Samstag im Monat steht sie in der Berliner Diskothek SO 36 an den Plattentellern und legt zur Veranstaltung „Gayhane“ orientalische Musik auf.
Für das Fasten, so die selbstsicher auftretende junge Frau, würden mindestens drei Gründe sprechen. Erstens sei da die Solidarität: Man soll als gläubiger Mensch das Leiden anderer nachvollziehen können. Zweitens gibt es einen gesundheitlichen, reinigenden Aspekt – obwohl schon das Fastenbrechen am Abend recht ungesund sei, räumt Ipek ein, da viele sich den Magen sehr voll schlagen würden. Als dritter Grund ist da noch der religiöse. Sich selbst, der Welt und Gott näher zu kommen ist das eigentliche Ziel der Fastenzeit. Manche Muslime fasten während des Monats Ramadan von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, so lange, wie man einen weißen Faden von einem schwarzen unterscheiden kann.
Während des Ramadans, genau genommen in der „Nacht der Bestimmung“, waren Mohammed die ersten Verse des Korans offenbart worden, die Sure 96. Diese Nacht des 27. Ramadans gilt vielen Muslimen deshalb als besonders heilig. In dieser Nacht wurde Mohammed aufgefordert, den Koran zu rezitieren. Das arabische Wort quran stammt denn auch von rezitieren und bezieht sich auf das rezitierte Wort Gottes.
Das Abschreiben des Korans in Schönschrift, die Kalligrafie, ist eine religiöse Handlung. Kalligrafen genießen deshalb in der arabischen Welt ein hohes Ansehen. Einige Koranblätter in unterschiedlicher Schriftart, die nach ihrem jeweiligen Entstehungsort benannt werden, beherbergt das Museum für Islamische Kunst. Die von uns gemeinsam angeschaute Seite stammt aus dem 15. Jahrhundert und zeigt einen Ausschnitt der Sure 15. Zu sehen ist der Magribi-Duktus: Eine aus dem schlanken Zier-Kufi entstandene Form wurde hier in den beiden rechteckigen Hauptfeldern verwendet. Der kursive Nashti-Duktus, hier in den drei Bändern auf floralem Hintergrund, findet sich auch in der Architektur Andalusiens, etwa der Alhambra wieder.
Ipek kennt den Koran, hat ihn jedoch noch nie vollständig gelesen. Ihr Umgang mit ihm istdurch Tradition bestimmt. Sie küsst ihn dreimal, wenn sie ihn anfasst. Heilig ist ihr der Koran jedoch nicht. Sie lebt offen lesbisch sowohl in Deutschland als auch in ihrer zweiten Heimat, der Türkei, raucht und trinkt Alkohol. Schon allein deshalb wäre es für sie schwierig, am Fasten teilzunehmen. Denn auch das Rauchen ist während des Ramadans untersagt. Doch gebe es viele „moderne“ Muslime in ihrem Bekanntenkreis, die, obwohl sie rauchen, aus unterschiedlichen Gründen das religiöse Gebot des Fastens einhalten. „Ich jedoch“, so Ipek, „bin keine konventionelle Gläubige.“
Denn nach der Abenddämmerung, am letzten Samstag im Monat, geht die DJane ihrer anderen Bestimmung nach.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen